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18 Brandanschläge seit Oktober: Anwohner:innen der Hufeisensiedlung besorgt

Veröffentlicht am 25.05.2022 von Madlen Haarbach

Flammen, die meterhoch aus einem Auto schlagen: Dieser Anblick weckt bei vielen Anwohner:innen der Britzer Hufeisensiedlung düstere Erinnerungen. Seit Jahren häufen sich in und um die Siedlung rechtsextreme Anschläge, immer wieder wurden auch Autos von Menschen, die sich etwa gegen Rechtsextremismus und für Geflüchtete engagierten, angezündet. Die rechtsextreme Anschlagsserie, der sogenannte Neukölln-Komplex, gilt in den Augen der Ermittler:innen seit 2018 für vorerst beendet. Aufgeklärt sind die Anschläge allerdings noch nicht. Den zwei Hauptverdächtigen, den Neonazis Tilo P. und Sebastian T., droht in den kommenden Monaten ein Gerichtsverfahren. Ab dem 3. Juni soll ein Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses erneut die Ermittlungspannen und mögliche weitere Verfehlungen aufrollen.

Die Hufeisensiedlung gilt Ermittler:innen schon lange als Schwerpunkt rechter Anschläge, auch abseits des Neukölln-Komplexes. Denn die Neonazi-Szene in den Neuköllner Ortsteilen Britz, Buckow und dem benachbarten Rudow beschränkt sich längst nicht nur auf die beiden Hauptverdächtigen des Neukölln-Komplexes. Anwohner der Hufeisensiedlung ist unter anderem Detlef M., gegen den derzeit ein Verfahren läuft, weil er Polizei-Interna an die lokale AfD-Chatgruppe weitergegeben haben soll.

Seit Oktober 2021 gab es in und um die Hufeisensiedlung insgesamt 18 Brandanschläge, den vorerst letzten am vergangenen Samstagabend auf ein Auto in der Gielower Straße. Das geht aus Zahlen der Polizei hervor, die dem Tagesspiegel vorliegen. In drei weiteren Fällen brannten Autos. Ansonsten trafen die Anschläge hauptsächlich Container, Mülleimer und Bushaltestellen. Parallel wurden im selben Zeitraum in Britz 25 rechte Straftaten registriert. Darunter finden sich an Hauswände geschmierte Hakenkreuze, antisemitische und rassistische Drohungen, Volksverhetzungen und beleidigende E-Mails an Anwohnende.

Für viele Anwohnende, die seit Jahren unter dem rechten Terror leiden, hängt beides zusammen. „In der Nachbarschaft herrscht ein Gefühl von Resignation und Unsicherheit“, sagt eine Anwohnerin, die ihren Namen nicht öffentlich nennen will. In der Siedlung kursierten derzeit viele Gerüchte. Die Polizei sieht bislang allerdings keine Indizien dafür, dass Brandanschläge und rechte Straftaten zusammenhängen – oder dafür, dass es sich um eine spezielle Täter:innengruppe handelt. So sei etwa bei einem Autobrand ein Tatverdächtiger ermittelt worden. Das Motiv liege wohl in einer privaten Auseinandersetzung. Nicht ausschließen kann die Polizei, dass es sich bei den Anschlägen auf Container – viele fanden rund um den 16. Mai statt – um eine Brandserie handele. Allerdings lägen hier keine Anhaltspunkte für Tatverdächtige und/oder ein politisches Motiv vor.

Für besondere Aufmerksamkeit sorgte der Brand in der Nacht zu Sonntag. Das Auto parkte direkt vor dem Haus, in dem auch eine israelische Familie wohnt – die bereits zwei Mal in den vergangenen Monaten von rechten beziehungsweise antisemitischen Angriffen betroffen war. In der unmittelbaren Nähe brannte vor einigen Jahren das Auto eines Betroffenen des Neukölln-Komplexes. Die Polizei sieht allerdings laut eigenen Angaben bislang keinen Zusammenhang zwischen dem Autobrand und den bisherigen Straftaten – Zusammenhänge würden allerdings laufend geprüft, hieß es. So sei mittlerweile auch der Staatsschutz an den Ermittlungen beteiligt. Politiker:innen wie der Linken-Abgeordnete Niklas Schrader, der die Anschlagsserie seit langem beobachtet und Mitglied des Untersuchungsausschusses ist, forderten gründliche Ermittlungen in Richtung eines möglichen rechten Tatmotivs. „Der Neukölln-Komplex und die verschleppten Ermittlungen sorgen dafür, dass die Menschen bei derartigen Vorfällen Angst haben“, sagte er dem Tagesspiegel.

Auch die Mobile Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus beobachtet die Vorfälle in der Hufeisensiedlung. Den Brandanschlag am Wochenende betrachtet die MBR mit Zurückhaltung. Matthias Müller von der MBR sagte auf Anfrage: „Sowohl die Auswahl der Person als auch der Tatzeitpunkt unterscheiden sich vom bisherigen Vorgehen in der rechtsextremen Anschlagsserie. Es gibt bislang keine Hinweise darauf, dass die betroffene Person sich etwa gegen Rechtsextremismus engagiert und damit zum typischen Betroffenenkreis der Anschlagsserie gehört.“ So hätten die Anschläge im Rahmen des Neukölln-Komplexes zu deutlich späteren Uhrzeiten und nicht wie zuletzt um 22.30 Uhr stattgefunden. „Derzeit können wir jedoch auch keine rechtsextreme Tatmotivation ausschließen“, sagte Müller.

  • Der Untersuchungsausschuss im Neukölln-Komplex startet gleich mit einem Problem: Die beiden AfD-Vertreter wurden erneut nicht in den Ausschuss gewählt, dabei ist ihre Teilnahme gesetzlich vorgeschrieben. Nun startet der Ausschuss am 3. Juni erstmal ohne die beiden, während die AfD ihre Teilnahme gerichtlich klären lassen will. tagesspiegel.de