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Armutsbeauftragter kritisiert Leitfaden gegen Obdachlosigkeit

Veröffentlicht am 10.05.2023 von Madlen Haarbach

Thomas de Vachroi, der Armutsbeauftragte des Evangelischen Kirchenkreises, hat den Leitfaden gegen Obdachlosigkeit des Bezirksamtes als „missverständlich“ kritisiert. Den Leitfaden hatte der bisherige Sozialstadtrat Falko Liecke (CDU) im März veröffentlicht. In dem 22-seitigen Dokument wird „unfreiwillige Obdachlosigkeit“ unter anderem als „Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit“ definiert. Parallel listet der Leitfaden unter anderem Orte auf, an denen obdachlose Menschen nicht campieren sollen (wir berichteten). Für Außenstehende würde der Eindruck entstehen, dass Obdachlose sich künftig etwa rund um Spielplätze, Friedhöfe und Schulen nicht mehr aufhalten dürften, kritisierte de Vachroi. Das sei schon deswegen unmöglich, weil nicht alle Obdachlosen einfach so als solche identifiziert werden könnten. Stattdessen gehe es primär um Camps.

Der Leitfaden sei nicht viel mehr als ein „Anstoß“, sagte de Vachroi. „Meine eigentliche Kritik ist, dass Berlin es nicht schafft, genügend Unterkünfte und sichere Zonen für Obdachlose zur Verfügung zu stellen“, sagte er. Obdachlose bräuchten dringend eben diese Schutzräume: „Obdachlose sind starker Gewalt ausgesetzt“, so de Vachroi. Dazu zähle sowohl psychische Gewalt, etwa durch Beschimpfungen und Beleidigungen, als auch körperliche durch Übergriffe. Auch Obdachlosencamps würden immer wieder attackiert. Die im Leitfaden erwähnte „freiwillige Obdachlosigkeit“ bezeichnete de Vachroi als „zynisch“: Man könne Menschen schließlich nicht in Unterkünfte zwingen. Viele würden auch allein deswegen die angebotene Unterkunft ablehnen, weil sie ihren Hund nicht mitnehmen dürften.

De Vachroi warnte davor, Obdachlosigkeit mit Drogen- und Alkoholkonsum gleichzusetzen. Natürlich gebe es Obdachlose, die Betäubungsmittel konsumieren würden – allerdings betreffe dies nur einen kleinen Anteil, so de Vachroi, der auch die Tee- und Wärmestube für Obdachlose mit betreibt. „Die Masse will einfach nur in Frieden leben“, sagt de Vachroi. Insgesamt seien immer mehr Menschen von Obdachlosigkeit betroffen, nicht erst seit dem Ukraine-Krieg kämen auch viele Menschen aus Osteuropa. „Wir sind keine Richter, wir müssen die Versorgung dieser Menschen garantieren. Und diese Garantien gibt es einfach nicht“, sagt er.

Gleichzeitig warnt de Vachroi davor, dass Armut nicht versteckt werden dürfe. „Wir als reiche Gesellschaft müssen das aushalten“, sagte er. Die Gesellschaft müsse aber auch immer wieder daran erinnert werden, dass Armut existiere. Denn nur, indem man Obdachlose und arme Menschen aus der Öffentlichkeit verbanne, löse man das Problem nicht. Aber es seien dringend mehr Unterkünfte, Tageseinrichtungen und andere Angebote für Obdachlose nötig.

De Vachroi verantwortet auch die Tee- und Wärmestube des Diakoniewerks Simeon, einer Einrichtung des Kirchenkreises. Im Schillerkiez baut das Werk gerade eine neue Wärmestube mit Mikro-Apartments für obdachlose Menschen (wir berichteten/Abo). Gemeinsam mit dem Superintendenten des Kirchenkreises, Christian Nottmeier, wolle er auch zeitnah mit den Bezirken ins Gespräch kommen und besprechen, welche Maßnahmen gegen die zunehmende Obdachlosigkeit getroffen werden könnten, kündigte de Vachroi an. „Das Problem ist nicht der Obdachlose, sondern die Obdachlosigkeit“, sagt er.