Namen & Neues
Heißer Sommer, heiße Verhandlungen: Arbeitskampf einer Neuköllnerin im Anne-Frank-Zentrum
Veröffentlicht am 12.07.2023 von Lotte Laloire
Warum in den Ferien nicht mal nach Mitte fahren? Was für einige Neuköllner:innen absurd klingen mag, könnte sich am nächsten Dienstag ab 17.30 Uhr richtig lohnen. Nicht nur wegen des Konzerts der Soul-/Discoband „Pick a Flower“, Kaltgetränken und dem Planschbecken – gerade jetzt, wo das Columbiabad zu hat! – Nein, sondern auch, weil die Beschäftigten des Anne-Frank-Zentrums (AFZ) wie die Neuköllnerin Jona Schapira wirklich etwas Besonderes sind. Die 32-jährige Historikerin arbeitet als Bildungsreferentin beim AFZ. Das ist eine Nichtregierungsorganisation (NGO), die über den Nationalsozialismus aufklärt.
Okay, was soll jetzt das Besondere an diesen „Gutmenschen“ sein, fragen Sie sich? Die Beschäftigten des AFZ finden nicht nur Erinnerungs- und Bildungsarbeit für die Gesellschaft wichtig, sie wollen auch selbst ordentlich behandelt werden. Sie gehören zur Minderheit der NGO-Angestellten, die für bessere Bedingungen an ihrem Arbeitsplatz kämpft – und zwar erfolgreich.
Schon einmal haben sie ihrer Leitung einen Haustarifvertrag abgerungen. Wer wissen will, wie, kann dies am Dienstag in der Rosenthaler Straße 39 sicherlich erfahren. Sollten Sie Schapira darauf ansprechen, kann ich Ihnen einen Thriller mit Gänsehaut garantieren. Wenn die Aktivistin redet, ist das emotional mitreißend und zugleich höchst informativ.
Und warum nun Arbeitskampf? Das klingt immer so nach Ärger und Konflikt. Er scheint aber nötig zu sein, da Geschäftsführungen in dieser Branche selten ohne Druck einfach mal so die Gehälter erhöhen. Ob im Bereich Bildung, Menschenrechte oder Charity: Bei NGOs werden oft hohe Bildungsabschlüsse und zahlreiche Kompetenzen erwartet, aber miese Löhne gezahlt, befristete Verträge angeboten oder gar Betriebsräte gebasht. Sprechen Angestellte die Probleme freundlich in den dafür vorgesehenen Meetings an, ändert sich meist wenig.
Ausführlich über die Probleme bei NGOs habe ich schon mal hier geschrieben, allerdings – Achtung, Enthüllung – unter einem Pseudonym, weil ich damals selbst noch bei einer NGO gearbeitet und gewisse Sorgen gehabt habe … Jetzt habe ich mein 1er-Arbeitszeugnis erhalten, der Journalismus hat mich zurück und ich kann – ohne Blatt vor dem Mund – aus eigener Erfahrung berichten:
Viele Leute, die bei NGOs arbeiten, ächzen, lästern, stöhnen. Viele distanzieren sich innerlich, andere landen im Burnout. Oder sie kündigen. Organisieren und gemeinsam kämpfen wie Schapira und ihr Team, das tun die wenigsten. Etwa weil sie sogar dafür schon zu überarbeitet sind, oder weil sie meinen, es sei in Ordnung, ausgebeutet zu werden, solange es den Menschen woanders auf der Welt noch schlechter gehe. Anderen NGO-Leuten fehlt jede Hoffnung oder sie mögen die DGB-Gewerkschaften nicht. Und der Klassiker: Viele haben schlicht Angst. Etwa vor schlechter Stimmung oder vor schlimmeren Strafen.
Nicht so diese Neuköllnerin vom AFZ. Jona Schapira hat schon lange keine Angst mehr. Spätestens seit dem letzten erfolgreichen von Verdi unterstütztem Tarifkampf mit ihrem Team „ist das mit Undercover organisieren“ sowieso vorbei. Man kennt sie. Und das ist okay. Der Erfolg gibt ihr Recht.
„Am Dienstag verhandeln wir unseren Tarifvertrag weiter“, erklärt Schapira mir im Chat via Signal. Das Ziel: „Eine Verbesserung unseres Tarifvertrags für Festangestellte und unserer Rahmenvereinbarungen für Freiberufler:innen“. Den letzten Tarifvertrag haben die selbstbewussten Beschäftigten des AFZ von sich aus gekündigt. Jetzt gilt drei Monate Friedenspflicht, bevor sie wieder streiken dürfen. Deshalb veranstalten sie am Verhandlungstag erst einmal „nur“ einen Aktionstag. Dass es (Ein)druck macht, wenn dazu viele Menschen kommen, wissen sie von vergangenen Aktionen.
„Wir freuen uns deshalb wieder sehr über Unterstützung am Termin der Tarifverhandlung und laden alle herzlich dazu“, so die Einladung der Gruppe. Vielleicht machen sich ja tatsächlich Menschen aus Schapiras eigenem Bezirk auf den Weg. „Wie kraftvoll die Solidarität von Neuköllner:innen sein kann“, weiß sie genau. „Das haben nicht erst die Proteste der letzten Tage gegen die Kürzungspläne gezeigt“. Andererseits haben ja auch alle immer so viel zu tun – nicht nur, wenn sie bei einer NGO arbeiten.
- Was: Aktionstag der Beschäftigten des Anne-Frank-Zentrums
- Wann: Dienstag, 18. Juli, ab 17.30 Uhr
- Wo: Rosenthaler Str. 39 (Nähe S-Bahnhof Hackescher Markt)
- Mehr über die aktuellen Probleme und Forderungen der Beschäftigten im AFZ hat meine Kollegin Hanna Beisel kürzlich hier für Sie notiert.
- Mehr Infos von den Beschäftigten finden Sie auf Facebook oder Twitter.