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Interessenvertretungen kritisieren Überarbeitung des Leitfadens Obdachlosigkeit
Veröffentlicht am 30.04.2024 von Madlen Haarbach
Die Union für Obdachlosenrechte (UfO) und der Arbeitskreis Wohnungsnot kritisieren die Art der Überarbeitung des sogenannten „Leitfaden Obdachlosigkeit“ des Bezirksamtes. Sie befürchten, dass das Dokument lediglich mit Blick auf Formulierungen geändert werden solle und nicht inhaltlich. „Wir befürchten eine fehlende Ergebnisoffenheit und dass wir lediglich als Feigenblatt für ein kaum verändertes Vorgehen des Bezirks dienen“, schreiben die beiden Interessenvertretungen in einer Presseerklärung. In einem offenen Brief an Stadtrat Hannes Rehfeldt (CDU) formulieren sie zentrale Punkte als Basis für die weitere Zusammenarbeit, „um wohnungs- und obdachlose Berliner:innen nicht als Sündenböcke für soziale Probleme darzustellen“.
Seit Langem gibt es Kritik am „Leitfaden Obdachlosigkeit“, den der damalige Sozialstadtrat Falko Liecke (CDU) im März 2023 kurz vor seinem Amtsende vorgestellt hatte. Sein Nachfolger im Amt, Rehfeldt, hatte eine Überarbeitung des Leitfadens gemeinsam mit Betroffenen und Initiativen angekündigt. Die zentrale Kritik am Originaldokument: Der Leitfaden drehe sich vor allem um die Ordnung im öffentlichen Raum und kaum um die Unterstützung von Obdachlosigkeit betroffener Menschen. Auch die Bezirksverordneten hatten das Bezirksamt mehrheitlich dazu aufgefordert, den Leitfaden zu überarbeiten.
Rehfeldt habe die Initiativen um Stellungnahmen gebeten und ein Onlinetreffen organisiert, schreiben UfO und der Ak Wohnungsnot. Dabei habe Rehfeldt unter anderem betont, dass Begriffe wie „freiwillige Obdachlosigkeit“ Teil des Dokuments bleiben müssten. Diesen Begriff lehnen die Initiativen ab: Wohnungslosigkeit sei keine freie Wahl, schreiben sie in dem Brief an Rehfeldt, der dem Tagesspiegel vorliegt. Sie fordern unter anderem eine Umsetzung der Anforderungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, die ein Recht auf Wohnen festschreibt.
„Wir erwarten von allen Bezirken Berlins, dass sie die Verdrängung von wohnungs- und obdachlosen Menschen nicht als Lösung für gesellschaftliche Probleme, etwa von Sauberkeit im öffentlichen Raum, darstellen“, heißt es in der Erklärung der beiden Interessenvertretungen. Verbotszonen für obdachlose Menschen und die Abschiebung wohnungsloser EU-Bürger:innen, die der Leitfaden als Maßnahmen aufzählt, seien keine geeigneten Lösungen für die Wohnungslosigkeit. Stattdessen solle der Bezirk die Soziale Wohnhilfe und niedrigschwellige Hilfsangebote stärken, stärker mit sozialen Trägern zusammenarbeiten, vermehrt gegen leerstehende Wohnungen vorgehen, die Einhaltung von Standards in Wohnungslosenunterkünften kontrollieren und sich auf Bundes- und Landesebene für die Überwindung von Wohnungslosigkeit einsetzen, etwa durch die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum.
Rehfeldt selbst weist die Vorwürfe auf Tagesspiegel-Anfrage zurück. Er habe schon kurz nach seiner Amtsübernahme Kontakt zu verschiedenen Akteuren aufgenommen und angeboten, den Leitfaden umzuarbeiten, sagt Rehfeldt. Bis zum gestrigen Dienstag gab es demnach die Möglichkeit, konkrete Vorschläge für die Überarbeitung des Leitfadens einzureichen. Diesem Vorgehen hätten alle Beteiligten zugestimmt. Vorgaben oder Einschränkungen habe das Bezirksamt nicht genannt, sondern lediglich um konkrete und umsetzbare Vorschläge gebeten, so Rehfeldt weiter. Er habe zudem darauf verwiesen, dass das Bezirksamt nicht nur für die obdachlosen Menschen zuständig sei, sondern auch die Interessen aller übrigen Neuköllner:innen berücksichtigen müsse. Dabei sei das Bezirksamt eben auch für die sogenannten ordnungsrechtlichen Aufgaben, also etwa Räumungen von Obdachlosencamps, zuständig.
In den kommenden Tagen und Wochen sollen laut Rehfeldt die Vorschläge der verschiedenen Akteur:innen ausgewertet werden, anschließend soll der Leitfaden überarbeitet werden. Dabei würden auch die Positionen von UfO berücksichtigt.