Kiezgespräch
Veröffentlicht am 18.03.2020 von Madlen Haarbach
Berlin untersagt Veranstaltungen ab 50 Teilnehmer*innen – aber offenbar keine Räumung. Am 17. April soll die Kiezkneipe „Syndikat“ geräumt werden, unter Beteiligung von vermutlich über 50 Polizist*innen – und mutmaßlich auch deutlich mehr als 50 Gegendemonstrant*innen. Sicherheitsabstand von zwei Metern? Schwierig.
In einem Statement kündigte das Kneipenkollektiv am 14. März an, dass die Kneipe nun zwar – wie alle anderen in Berlin – geschlossen sei, aber gegen die Räumung weiter mobilisiert werde. „Alles andere als eine Absage der Räumung werden wir nicht akzeptieren“, heißt es in dem Schreiben. Die Mobilisierung solle so lange aufrecht erhalten bleiben, bis die Räumung abgesagt wird – denn, so heißt es weiter: „Wir wissen, dass es viele Gäste, Freund*innen und Unterstützer*innen gibt, die dies genauso skandalös finden und sich von etwaigen Versammlungsverboten nicht abhalten lassen werden, an dem Tag der Räumung auf die Straße zu gehen und sich zu versammeln.“ Auch ohne bestehende Anmeldungen würden an jenem Tag – mit Polizist*innen und Pressevertreter*innen – weit über 1000 Menschen zusammenkommen. „Möchte der Bezirk Neukölln und der Senat Berlin dies verhindern, wissen sie, was sie zu tun haben“, droht das Kollektiv. Gleichzeitig fordern sie eine Aussetzung aller Zwangsräumungen, ähnlich wie dies bereits in New York, Barcelona und anderen Städten weltweit verordnet wurde.
Auf Twitter stellte der stellvertretende Bezirksbürgermeister Falko Liecke (CDU) am Freitag – zu dem Zeitpunkt galt lediglich das Verbot ab 1000 Personen – klar: Nicht die Räumung sei durch den Beschluss des Senats verboten, sondern lediglich die Gegendemonstration (twitter.com). Sein Bezirksamtskollege Jochen Biedermann (Grüne) erklärte hingegen schon am Mittwoch, er sei dafür, alle Zwangsräumungen abzusagen. „Mindestens mal vor dem Hintergrund von Corona und dem Versuch, es einzudämmen. Menschen, besonders Familien, sind von Räumungen immer furchtbar betroffen, aber in Zeiten wie diesen ist es besonders katastrophal, wenn sie einfach auf der Straße stehen“, so Biedermann auf Twitter. Zuständig für Zwangsräumungen sind allerdings, egal ob im Falle das Syndikats oder von Mieter*innen, nicht Biedermann und Liecke, sondern der Senat.
Aus der Senatsverwaltung für Inneres hieß es bereits am Montag, dass eine entsprechende Anfrage des Tagesspiegels bezüglich dem aktuellen Umgang mit Zwangsräumungen aufgrund der aktuellen Lage erst Ende der Woche beantwortet werden könne.
*** Update: Um den Verzicht auf die Durchführung von Zwangsräumungen von Wohnungen im Falle von Mietrückständen hat Staatssekretärin für Justiz Daniela Brückner den Präsidenten des Kammergerichts Bernd Pickel gebeten. Die Gerichtsvollzieher*innen gehören zu dessen Geschäftsbereich.
„Im Einzelfall sollten Zwangsvollstreckungen auf das erforderliche Mindestmaß beschränkt bleiben“, sagte der Sprecher der Senatsverwaltung für Justiz Sebastian Brux auf eine Anfrage des Tagesspiegels, die sich auch auf den Räumungstermin des Syndikats bezog. Der Kammergerichtspräsident habe diese Auffassung geteilt. „Wünschenswert und anständig wäre es, wenn auch Vermieter für die Dauer der Coronavirus-Krise darauf verzichten, dass zwangsvollstreckt wird“, so Brux weiter. Denn es sei unklar, ob der Bundestag so kurzfristig eine Änderung der Zivilprozessordnung umsetzen könne.