Nachbarschaft

Veröffentlicht am 12.12.2018 von Madlen Haarbach

Florian Reischauer, 33, ist Fotograf und Begründer des Fotoprojektes „Pieces of Berlin“. Der gebürtige Österreicher lebt und arbeitet in Neukölln.

Wie bist du auf die Idee mit Pieces of Berlin gekommen? Als ich 2007 von Wien nach Berlin gekommen bin, war vieles neu für mich. Der ganze Platz, die urbanen Wastelands, die vielen Möglichkeiten, das unvergleichbare Improvisierte. Da mir am Anfang auch noch nicht klar war, wie lange ich wohl in Berlin bleiben würde, hatte ich immer meine alte Kamera dabei, um für mich, etwas tagebuchartig, die Stadt zu erkunden beziehungsweise zu dokumentieren. Schnell wurde mir klar, dass gerade solche Brachen sehr schnell verschwinden und wie rasant sich sowieso alles verändert in Berlin. So begann das Sammeln. Durch die Neugier nach mehr und auch wegen des gewonnen Bewusstseins, eine neue Heimat gefunden zu haben, wollte ich die Stadt vor allem durch ihre Einwohner kennen lernen.

Was genau behandelt das Projekt? Pieces of Berlin beschäftigt sich mit dem Berliner Alltag und erzählt Geschichten, in dem es Menschen aus allen sozialen Schichten und allen Kiezen mit einbezieht und aus der urbanen Anonymität holt.

Wie gehst du bei der Suche nach Motiven vor? Ich überlasse sehr viel dem Zufall. Im Schnitt gehe ich einmal wöchentlich fotografieren, und dabei wird meist eine Rolle Mittelformatfilm (zwölf Aufnahmen) fotografiert. Pro Person mache ich nur ein Portrait. Wo? Das wird spontan am Morgen entschieden, beziehungsweise hängt oft damit zusammen, an welchen Orten und in welchen Kiezen ich schon länger nicht mehr war.

Wie ist die Resonanz? Das ist sehr unterschiedlich und hängt natürlich von der Jahreszeit und dem Wetter ab. Wenn die Sonne scheint, sind die Leute auch offener. Generell ist es einfach, junge und ältere Menschen für das Projekt zu gewinnen. Vor allem Rentner*innen freuen sich oft sehr, dass sich einfach jemand für sie interessiert und sie ihre Geschichten erzählen können. Das kann auch oft sehr rührend sein! Aber was ich sehr spannend finde: Trotz der zehn Jahre Routine und Erfahrungen die ich damit gesammelt habe, werde ich trotzdem immer wieder überrascht.

Du bist ja gebürtiger Österreicher. Was hat dich nach Berlin, und speziell Neukölln, verschlagen? Ich habe in Wien Fotografie studiert und wollte danach unbedingt was anderes erleben, kennen lernen. Ich kannte Berlin nicht, bloß „Herr Lehmann“ – so blöd das auch klingen mag. In London war alles viel zu teuer, und ich wollte auch leben und mich ausprobieren – Berlin war damals perfekt für mich! Angekommen bin ich in Friedrichshain und 2010 bin ich quasi meinem sozialen Umfeld gefolgt. Ich kannte plötzlich kaum noch jemanden im Nordkiez, und so ist Rixdorf mein Zuhause geworden. Ich komm‘ ja ursprünglich vom Kuhdorf, und muss sagen, dass ich das Dörfliche hier schon sehr genieße, aber vor allem, dass ich beides haben kann: Großstadt oder Dorf, ich kann es mir jeden Tag aussuchen.

Was ist für dich als Fotograf das interessante an Berlin, speziell auch an Neukölln? Neben der gewaltigen Dynamik der Veränderungen sind die Eigenheiten der einzelnen Kieze natürlich sehr spannend. Jede Ecke hat so ihre speziellen Charakteristiken. Gerade Neukölln ist da natürlich auch ein tolles Beispiel, wenn man sich die Kontraste ansieht – Tempelhofer Feld, Hermannstraße, Körnerpark, Karl-Marx-Straße, Böhmisches Dorf, Sonnenallee. Das ist ein Spaziergang von 30 Minuten und man durchquert Welten.

Hast du Lieblingsorte im Bezirk, die du uns empfehlen kannst? Ich liebe das Tempelhofer Feld! Nicht nur dafür, dass es einem soviel Platz zum Atmen und Freiraum gibt, sondern auch deswegen, dass es für mich zu einem Symbol geworden ist, dass auf Grund der sehr ausgeprägten kritischen Masse in Berlin sehr viel möglich ist!

Weitere Informationen zum Fotoprojekt und dem dazugehörigen Buch gibt es hier.

Wer einen Vorschlag hat, welcher Mensch hier unbedingt vorgestellt gehört: Gerne mailen an leute-m.haarbach@tagesspiegel.de.