Nachbarschaft

Veröffentlicht am 09.10.2019 von Julia Weiss

Charlotte Kroner liebte die Zauberei, das hatte sie von ihrem Vater. Josef Leichtmann eröffnete Ende des 19. Jahrhunderts den „Berliner Zauberkönig“ in der Friedrichstraße, einen Laden voller magischer Spielereien. Bis heute türmen sich Pupskissen, Zauberkarten, falsche Schnurrbärte und Bonbons mit Knoblauchgeschmack in dem kleinen Laden. Der liegt mittlerweile im Schillerkiez in Neukölln. Hinter dem  lustigen Geschäft verbirgt sich eine traurige Geschichte, die der jüdischen Familie Kroner.

Die „magischen Schwestern“ hießen Charlotte, Rosa, Melanie und Leonie Kroner. In den 1920er Jahren machten sie aus dem Laden ihres Vaters eine Kette und eröffneten gemeinsam mit ihren Ehemännern berühmte Zauberhäuser in Berlin, Hamburg, München und Köln. Es war die Zeit des Variétés, Magie war beliebt. Den Berliner Zauberkönig führte Charlotte mit ihrem Mann Arthur Kroner – bis die Nazis kamen.

Kurz nach der Reichspogromnacht wurde der Zauberkönig in „arische Hände gelegt“, wie es die Nationalsozialisten nannten. Regina Schmidt, eine Angestellte des Hauses, übernahm das Zauberhaus in der Friedrichstraße. Die Töchter Anneliese und Hannelore flüchteten in die USA. Charlotte und Arthur Kroner blieben mit ihrer ältesten Tochter Meta in Berlin. Vermutlich hofften sie, ihr Geschäft – die „zauberhafte Seele ihres Daseins“ – doch noch zurückzubekommen.

Doch 1942 kam es noch schlimmer. Die Nazis verhafteten Tochter Meta, die Managerin des Zauberkönigs, am Alexanderplatz und brachten sie ins Polizeigefängnis. Von dort wurde sie am 26. Februar 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Einige Monate vorher war der Zauberkönig offiziell enteignet worden. Gedemütigt, traurig und verzweifelt sah das Ehepaar keinen anderen Ausweg mehr. Charlotte schluckte am 31. Januar 1943 Gift. Ihr Mann Arthur tat es ihr später gleich. Er starb am 2. April 1943. Beide sind auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin Weißensee begraben.

Ihr Zauberkönig lebt weiter im Schillerkiez in Neukölln.

Die Geschichte der Familie Kroner ist im Web-Archiv der Berliner Stolpersteine dokumentiert.

Foto: Privatarchiv/Stolpersteine-berlin.de

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