Nachbarschaft
Veröffentlicht am 08.04.2020 von Madlen Haarbach
Christian Nottmeier ist seit Sommer 2018 Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Neukölln. Im – schriftlich geführten – Interview spricht er über Ostern in Zeiten der Pandemie und rät: Hoffnung hamstern!
Herr Nottmeier, wie gehen Sie gerade persönlich mit der Pandemiesituation um? Ich finde die Situation schon sehr herausfordernd. Die Maßnahmen der Regierung – die ich richtig und verantwortungsvoll finde – greifen in viele Freiheiten und Gewohnheiten ein. Das ist eine große Umstellung. Abstand zu halten und dabei die innere Nähe zu anderen nicht zu verlieren, ja vielleicht sogar zu suchen, ist für mich praktizierte Nächstenliebe. Das gilt für alle beruflichen Kontakte, merke ich aber auch in der eigenen Familien. Jetzt sind unsere vier Kinder wieder zu Hause. Das ist oft toll, aber eben mitunter auch herausfordernd. Ich lerne ganz viel, auch über mich und meine eigenen Möglichkeiten und Grenzen.
Der evangelische Kirchenkreis bietet aktuell Online-Gottesdienste an. Welche Erfahrungen haben Sie damit bislang gesammelt? Wir entdecken die digitalen Möglichkeiten noch einmal neu. Es gibt Gemeinden, die feiern interaktive Gottesdienste im Videochat. Am Ostersonntag versuchen wir das sogar als Familiengottesdienst. Das kann auch unsere Gottesdienstformen beleben. Das Projekt „Spirit and Soul“ macht Podcasts und weitere digitale Angebote für junge Erwachsene, die religiös auf der Suche, aber nicht an eine bestimmte Kirchengemeinde gebunden sind. Das kommt sehr gut an. Wichtig ist aber auch, dass wir die Menschen erreichen, die mit den digitalen Formaten nicht so vertraut sind. So bietet z.B. eine Gemeinde per Telefon kurze Andachten über ihren Anrufbeantworter an. Insgesamt gibt es viel kreative Ideen. Darin liegt, bei allen Herausforderungen dieser Krise die ich nicht beschönigen will, auch ein Chance.
Wie funktioniert Seelsorge in Zeiten der Pandemie? Viele Kontakte finden am Telefon oder über soziale Medien statt. Pfarrer*innen und Ehrenamtliche rufen Menschen direkt an und geben ihnen damit das Signal: Du bist nicht allein, nicht vergessen. So wird Nächstenliebe konkret. Besonders wichtig ist im Moment auch die Begleitung von Kranken, Sterbenden und Trauernden. Hier ist der direkte Kontakt kaum zu ersetzen und durch die gesetzlichen Verordnungen ja auch zugelassen. Auch unsere Seelsorger*innen in den Kliniken sind weiter für die Menschen da.
Wie versuchen die Kirchen sonst einen Beitrag zu leisten, um Menschen in der aktuellen Situation zu unterstützen? Ganz wichtig ist, dass wir in der geforderten „sozialen Distanzierung “ die Nöte der anderen nicht vergessen. Unser Familienbildungsarbeit hat z. B. ein Krisentelefon für Familienberatung geschaltet. Etliche Gemeinden versuchen, die Arbeit mit Obdachlosen weiterzuführen, etwa durch das Austeilen von Lunchpaketen. Und gerade haben wir einen Aufruf in die Gemeinden geschickt, einfache Schutzmasken für Mitarbeitende in der Pflege zu nähen. Unsere diakonischen Einrichtungen leisten gerade in dieser Zeit einen wichtigen Beitrag. Und von unseren 26 Kindertagesstätten bieten 14 Notbetreuung an. Da freue mich auch über die gute Zusammenarbeit mit dem Bezirk.
Das Osterfest wird in diesem Jahr anders stattfinden als gewohnt. Welche Empfehlungen haben Sie für die Neuköllner*innen, auch abseits Ihrer Gemeinde? Ostern wird anders, klar. Für mich ist Ostern ein Fest der Hoffnung. Darum geht es gerade für uns alle in diesem bunten, vielfältigen, wunderbaren Bezirk: Hoffnung zu hamstern. Dazu tragen auch die Ostergeschichten bei, die von neuer Hoffnung, neuer Lebenskraft reden. Gerade jetzt brauchen wir solche Geschichten, Zeichen und auch Lieder. Ich glaube fest, dass diese österliche Hoffnung in den vielen Zeichen der Nähe, der Verbundenheit, der Solidarität, die wir gerade erleben, fortgeschrieben wird. Angst und Furcht müssen nicht das letzte Wort haben, sondern gemeinsame Kraft, Liebe und Besonnenheit. Das sollten wir miteinander teilen, dann kann es uns auch weiter tragen.
+++ Das Interview führte Madlen Haarbach, die Sie jeden Mittwoch im Newsletter mit frischen Infos aus Neukölln versorgt. Anmeldung hier: leute.tagesspiegel.de
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