Nachbarschaft

Veröffentlicht am 22.04.2020 von Madlen Haarbach

Eric Denis Strohmeier ist Militärhistoriker und seit September 2019 wissenschaftlicher Volontär im Museum Neukölln. Im Interview spricht er über seine Arbeit dort und das 75. Jubiläum der Eroberung von Neukölln.

Herr Strohmeier, wie sind Sie denn zum Museum Neukölln gekommen? Ich habe lange in der Wissenschaft gearbeitet, für das Militärhistorische Forschungsamt, dem späteren Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Nachdem das Projekt ausgelaufen war, gab es keine Verlängerung und ich musste mich nach etwas neuem umschauen. Speziell im Museumsbereich kriegt man keine Jobs, wenn man nicht ein Volontariat absolviert hat. Das ist eine Art Zusatzqualifizierung, im Prinzip eine Art zusätzliche Ausbildung. Man ist dann zwei Jahre in einem Museum. Die Idee ist eigentlich, dass man alle Stationen durchläuft, die ein Museum hat. Das Museum Neukölln ist ein relativ kleines Museum, da macht man im Prinzip alles. Was man lernt ist, wie ein Museum funktioniert, wie die Abläufe sind und wie man eine Ausstellung erstellt.

Was machen Sie dort konkret? Ich mache im Grunde alles, was mit dem Museum zu tun hat. Ich organisiere Veranstaltungen, ich kümmere mich um Anfragen. Gerade erarbeiten wir eine Wechselausstellung, das heißt, wir Konzeptionieren, bereiten vor und führen sie durch. Die Ausstellung sollte eigentlich am 7. Mai eröffnet werden, das passiert jetzt nicht. Für die Ausstellung schreiben wir die Texte für den Katalog und die Ausstellung selbst, recherchieren Material und Kosten, wie etwa für Bildrechte.

Wie läuft das im Homeoffice? Mehr oder weniger genauso. Schwierig ist gerade beispielsweise, wenn es um die Recherche für wissenschaftliche Texte geht. Ein Teil der Bücher ist zwar bei mir zu Hause oder digital zu erschließen. Aber solche Sachen wie Quellentexte zu recherchieren geht gerade nur bedingt, weil die Archive zu sind. Ein bisschen was ist online verfügbar, aber gerade im Zusammenhang mit der Eroberung Neuköllns, ist der Großteil nicht zugänglich. Das ist tatsächlich gar nicht so einfach zu recherchieren. Die Bücher, die ich dafür eigentlich gebraucht hätte, habe ich nicht als PDF zur Verfügung.

Was haben Sie über das Kriegsende in Neukölln vor 75 Jahren herausgefunden? Die Eroberung des Bezirkes Neukölln durch die Rote Armee begann am 26. April 1945. Truppenteile der 8. Gardearmee und die 1. Gardepanzerarmee unter Generaloberst Tschuikow stießen von Treptower Park aus in Richtung Hermannplatz und Tempelhofer Feld vor. Am selben Tag wurde der Flughafen Tempelhof von sowjetischen Einheiten erreicht. Bis zum 28. April wurden die Kämpfe in Neukölln weitgehend eingestellt, der gesamte Bezirk war innerhalb kurzer Zeit von sowjetischen Truppen besetzt. Für die meisten Berliner*innen bedeutete die Eroberung der Stadt durch die sowjetische Armee keineswegs eine Befreiung, sondern eine Niederlage. Bis zum bitteren Ende kämpften die Angehörigen der Wehrmacht, der Waffen-SS und des Volkssturms im festen Glauben an das nationalsozialistische Regime. Die Konsequenzen einer Niederlage wurden von weiten Teilen der Bevölkerung nach zwölf Jahren Diktatur mehr als alles andere gefürchtet.

Auf welche Schwierigkeiten sind Sie sonst bei der Recherche gestoßen? Das Problem ist zum Beispiel, das richtige Datum zu treffen. Ich habe beispielsweise verschiedene Daten für die Eroberung des Flughafen Tempelhof, also des heutigen Tempelhofer Feldes, gefunden. Damit ist ja quasi {die Grenze} Neuköllns erreicht. Da findet sich einmal das Datum 26. und einmal 28. April, deswegen formuliere ich so, dass die Sowjets bis zum 28. April vorgedrungen sind. Das konnte ich nicht verifizieren, weil ich nicht auf das entsprechende Quellenmaterial zugreifen konnte, das detaillierter dazu ist. Es ist aber auf jeden Fall so, dass am 28. April die letzten Nester ausgeräuchert waren. Wen das interessiert, es gibt bei Twitter gerade eine Gruppe von Leuten, die sich zusammengetan haben und Tag für Tag auf Englisch über die Eroberung Berlins schreiben (twitter.com/ww1_Series). Da haben ein paar Historiker mitgearbeitet, die ich auch kenne, die haben mit den einschlägigen Museen zusammengearbeitet. Deswegen gehe ich davon aus, dass das sehr valide ist, was sie da formulieren.

Wie sind Sie eigentlich zur Militärgeschichte gekommen? Geschichte war schon immer mein Leib und Magen-Thema, damit habe ich mich immer gerne beschäftigt. Militärgeschichte ist es dann vermutlich geworden, weil mein Vater Offizier bei der Nationalen Volksarmee (NVA) war. Meine Abschlussarbeit habe ich über Wehrerziehung in den Schulen der DDR geschrieben. Experte bin ich tatsächlich vor allem für deutsche Militärgeschichte nach 1945. Ich war aber tatsächlich nie aktiv beim Militär. Es ist von Vorteil, eine Perspektive zu haben, die nicht durch die Institution selbst vorgeprägt wurde, weil man da selber nie drin war. Das bringt einen etwas anderen Blick rein.

Als wissenschaftlicher Volontär sind Sie auch für das Stolperstein-Projekt im Bezirk zuständig. Wie läuft das ab? Jeder Bezirk verwaltet die Stolpersteine in seinem Bezirk. Normalerweise sind es Stolpersteininitiativen, also Vereine, die das machen. In Neukölln gibt es keinen Verein, deswegen übernimmt das Museums dies. Wir vermitteln zwischen der Koordinierungsstelle für Berlin und den Paten. Diese treten an uns heran und wir sagen ihnen, was sie zu tun haben, vermitteln dann mit der Koordinierungsstelle und koordinieren zum Beispiel auch das Material, dass die Leute brauchen, um für die Biographien zu recherchieren.

 

 

+++ Das Interview führte Madlen Haarbach, die Sie jeden Mittwoch im Newsletter mit frischen Infos aus Neukölln versorgt. Anmeldung hier: leute.tagesspiegel.de

+++ Hier lesen Sie auch, wie sich der Arbeitsaufwand für  Bezirksmitarbeiter*innen in der Krise erhöht hat

+++ Und das sind die weiteren Themen der Woche im Newsletter:

  • 75 Jahre Eroberung Berlins: Wie Neuköllns erster Bürgermeister die entscheidenen Tage erlebte
  • Bezirksverordnetenversammlung auf den 7. Mai verschoben
  • Berlin Global Village und Comenius-Garten: Neukölln bekommt insgesamt 2,4 Millionen aus Nachhaltigkeitsfonds des Senats
  • Kürzere Öffnungszeiten, aber mehr Kunden: Sozialstadtrat lobt Arbeit der Bürgerämter
  • Büchertaxi liefert Überraschungsbuchpakete – auch an Kinder aus finanziell benachteiligten Familien