Nachbarschaft
Veröffentlicht am 13.05.2020 von Madlen Haarbach

Daniela von Hoerschelmann ist seit eineinhalb Jahren Vorsitzende des Bezirkselternausschusses in Neukölln. Im Interview spricht sie über die mangelhafte Digitalisierung an Neuköllner Schulen und die schrittweise Rückkehr zum Präsenzunterricht.
Frau Hoerschelmann, was hat Sie dazu bewegt, Mitglied (und später Vorsitzende) des Bezirkselternausschusses (BEA) zu werden? Ich bin seit Ende 2012 Mitglied im Bezirkselternausschuss. Ich hatte auch vorher schon viel Kontakt mit dem Bezirksamt, weil ich auch den Neuköllner Schwimmbär mit organisiere, das ist mein Haupt-Steckenpferd. Ich dachte mir damals, dass wir in den Bezirkselternausschuss neuen Schwung reinbringen müssten.
Was genau macht der BEA? Der Bezirkselternausschuss ist ein schulisches Gremium, das beratend tätig ist für die Schule und die Schulaufsicht. Eigentlich macht der Bezirkselternausschuss die Vorarbeit für den Bezirksschulbeirat. In Neukölln werden beide Gremien allerdings schon seit längerem von einer Person geleitet. Das ist auch jetzt so, aber nur in Ermangelung einer anderen geeigneten Nachfolge. Ich versuche gerade, mehr Eltern zu motivieren und aktivieren, damit sie in das Gremium kommen. Also ihnen zu zeigen, wie wichtig und wie interessant die Arbeit ist und wie viel Spaß sie auch machen kann. Mein Ziel war es, den Bezirkselternausschuss zu einem stabilen, starken Gremium zu machen, das im Bezirk aktiv ist und versucht, etwas zu bewirken – und nicht zur Laberveranstaltung wird, zu der am Ende des Schuljahres nur noch drei Leute kommen. Gerade nehmen zwischen 30 und 50 Leuten an den Sitzungen teil.
Welche Themen bespricht der Ausschuss? Wir sprechen nicht über Probleme an einzelnen Schulen, sondern diskutieren die Berichte der Schulaufsicht und der Verwaltung. Wir stellen natürlich dazu auch Fragen. Es ist nicht so sinnvoll, einzelne schulische Probleme in so einem großen Gremium zu diskutieren, weil da alle Schulformen vertreten sind. Deswegen versuchen wir, die Sitzungen allgemein zu halten, aber nicht die einzelnen Themen zu vergessen. Die werden dann auf separater Ebene diskutiert und beschlossen.
Was sind aus Ihrer Sicht derzeit die drängendsten Probleme an Neuköllner Schulen? Das drängendste Problem ist, dass wir viele Schülerinnen und Schüler nicht mehr erreichen. Das ist einfach von der Sozialstruktur her so, das kann man nicht ändern. Natürlich ist auch die digitale Ausstattung immer noch ein drängendes Thema. Da sind die Versäumnisse der letzten Jahre allerdings sehr groß und zum Teil politischer Natur. Aber auch bezogen auf die einzelnen Menschen: Die Wertigkeit eines Laptops oder eines PCs ist oft einfach nicht mehr vorhanden und muss wieder reaktiviert werden. Vielen Eltern und Schülern fehlt auch Medienkompetenz.
Welche Probleme gibt es aktuell in der Neuköllner Schüler*innenschaft durch die Coronakrise? Bei vielen ist die völlige Struktur eines Arbeitstages verloren gegangen. Wenn Eltern sich nicht durchsetzen oder keine Zeit haben, weil sie arbeiten oder nicht zu Hause sind, dann endet es ganz oft damit, dass die Kinder bis nachts irgendetwas machen – also Daddeln oder Fernsehgucken -, aber die strukturgebenden Prozesse nicht mehr da sind, die Schule mit sich bringt. Also, dass der Unterricht um 8 Uhr startet zum Beispiel. Es sind größtenteils nur bildungsnahe Haushalte, die ihren Kindern weiter die Struktur auferlegen. Auch die Tatsache, dass viele Schülerinnen und Schüler und auch Eltern gar nicht zu erreichen sind, ist ein Problem. Viele Schulen müssen ihre Aufgaben per Post senden.
Wie funktionieren die schrittweisen Schulöffnungen aus ihrer Sicht? Ich denke, dass die Schulen alle relativ gut aufgestellt sind. Da wurden sich ganz viele Gedanken gemacht und ich glaube, dass die Hygieneregeln schulseitig alle unproblematisch sind. Ich glaube, dass es für die Schülerinnen und Schüler auch wichtig ist, dass sie jetzt gerade diese strukturgebenden Elemente zurück erhalten, selbst wenn es nur einmal in der Woche ist. Es ist wichtig, dass das zurückkommt und die Schülerinnen und Schüler auch die sozialen Kontakte und das Feedback wieder haben.
Das heißt, aus Ihrer Sicht war die schrittweise Öffnung der Schulen eine gute Entscheidung? Ja, für Neukölln auf jeden Fall.
Was wünschen Sie sich, auch für die kommende Zeit, vom Bezirk? Ich wünsche mir, dass wir eine Form von Digitalisierung und auch Endgeräte haben, die eine sinnvolle Struktur ergeben – wo also ganze Klassen und Jahrgangsstufen erfasst sind und nicht nur kleine Tröpfchen auf heiße Steine geschickt werden. Dazu gehören auch gute Mailstrukturen, digitale Lernplattformen und der Zugang für alle Schülerinnen und Schüler. Das heißt nicht, dass jedes Kind in der ersten Klasse gleich ein digitales Endgerät haben muss. Aber dass, je älter die Schülerinnen und Schüler werden, sie an die digitalen Sachen herangeführt werden.
Der BEA führt eine Laptop-Spendenaktion durch… Die läuft wirklich gut. Wir können damit engagierten Schülerinnen und Schülern wirklich gut helfen. Wir haben gerade angefangen, die Laptops über Lehrerinnen und Lehrer auszugeben, das klappt ganz hervorragend. Vergeben haben wir bislang etwa 20, zur Verfügung haben wir gerade über 100 Laptops. Die Spendenbereitschaft ist wirklich toll und auch die Auswahl durch die Lehrerinnen und Lehrer, damit die Schülerinnen und Schüler einfach gute Prüfungen und ihren Lebensweg weiter machen können.
Ist die aktuelle Krise dann auch eine Chance? Auf jeden Fall, das ist ja eine Art langer Dornröschenschlaf in der Berliner Verwaltung gewesen. Das ist jetzt natürlich ein herbes Aufwachen. Da kann man nur hoffen, dass die Chancen jetzt genutzt werden.
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