Nachbarschaft

Veröffentlicht am 08.07.2020 von David Joram

Sie vermessen und erfassen alles, was sich vermessen und erfassen lässt: Straßen, Parkplätze, Bäume. Die OpenStreetMap-Community (OSM), weltweit vernetzt, ist auch in Neukölln aktiv. Rund ein Dutzend Menschen kartieren den Bezirk, darunter Alex Seidel, Wahlneuköllner seit zehn Jahren, Geodatenliebhaber und Stadtgeograph: „Wir wissen zum Beispiel, dass es in Berlin über 2000 Notwasserpumpen gibt“, sagt der 32-Jährige. Es gebe auch Lärmschutzkarten oder Fahrradständerstatistiken, „der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.“

Die OSM gilt als Fundgrube, als Wikipedia für Karten, eine Rohdatenbank, deren Schätze nur gehoben werden müssen – die für den Laien aber erstmal im Verborgenen liegen. „Man muss wissen, wie man an die Daten kommen kann, wie man sie auswerten und erfassen kann“, sagt Seidel.

Die OSM-Community kann helfen. 2004 gegründet, hat sie laut Wikipedia inzwischen über 6,5 Millionen Mitglieder, Seidel ist seit fünf Jahren dabei. „Gerade Berlin hat eine ausgeprägte Geodatenkultur, die Datensätze der Stadt sind frei zugänglich“, sagt er.

Das neueste Projekt von Seidel und der Berliner OSM-Verkehrswendegruppe: Parkplatzzählung- und flächenberechnung. Genauer gefragt: Wie viel Platz nehmen eigentlich parkende Autos weg, die auf und um die Herrmannstraße stehen? Die wichtigsten Resultate laut OSM:

  • In einem Umkreis von 500 Metern um den 2,6 Kilometer langen Abschnitt der Hermannstraße, an dem ein Radweg entstehen soll, gibt es etwa 15.000 Parkplätze, davon 10.500 auf Parkspuren am Straßenrand.
  • 4 Prozent der Gesamtfläche in diesem Gebiet werden durch Parkspuren belegt – bezogen auf den öffentlichen Straßenraum zwischen den Gebäudefassaden sind es über 20 Prozent.
  • Allein in diesem kleinen Stadtgebiet wird damit bereits eine Fläche von 23 Fußballfeldern durch stehende Autos belegt.
  • Eine Dichteverteilung der Parkplätze ergibt: Theoretisch gibt es mehr verfügbare Parkplätze als Autos – praktisch scheinen Ausweichpotentiale jedoch nicht genutzt zu werden, wenn sie nicht vor der Tür bzw. in unmittelbarer Umgebung liegen.

Aber was folgt nun daraus? „Ich beobachte die Kommunalpolitik in Neukölln schon länger; es gibt viele Ideen, Entwicklungen, Diskurse. Aber im Handeln ist man visionsarm und träge“, sagt Seidel. Er beobachte eine Abwehrhaltung in der Kiezpolitik. Wenn es im Neuköllner Norden keine städtebaulichen Visionen gebe, dann sei das „traurig“.

Als Paradebeispiel für Nutzungskonzepte nennt der Stadtgeograph die Niederlande oder Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen, wo der öffentliche Raum viel effektiver genutzt werde. Für Neukölln stellt sich Seidel die Frage: „Ist der Luxus des Parkens berechtigt?“ Keine unberechtigte Frage – wenn allein rund um die Herrmannstraße eine Fläche von 23 Fußballfeldern blockiert wird. Foto: Privat

 

+++ Das ist ein Beitrag aus dem Leute-Newsletter für Neukölln. Den gibt es in voller Länge und kostenlos hier: leute.tagesspiegel.de

+++ Die Themen der Woche:

  • Wie viel Platz parkende Autos brauchen, hat Geodatenliebhaber Alex Seidel errechnet
  • Neuköllner Rathaus hisst Regenbogenfahne
  • AnwohnerInnen ärgern sich über Markterweiterung am Maybachufer – der Betreiber kontert