Nachbarschaft
Veröffentlicht am 12.08.2020 von Madlen Haarbach
Elsa Marlene H. wohnt seit über 35 Jahren im Schillerkiez nahe der Kneipe „Syndikat“, die vergangenen Freitag geräumt wurde. Im Interview spricht sie über wehmütige Erinnerungen und eine ungewisse Zukunft für die Nachbarschaft.
Frau H., wie war es, 35 Jahre neben dem „Syndikat“ zu wohnen? Das „Syndikat“ ist für uns, die wir das „Syndikat“ gut finden, eben nicht nur eine Kneipe, wo man preiswert auch mal ein Bierchen trinken kann, sondern eine soziale Institution. Das „Syndikat“ war ein bisschen so, wie Neukölln früher eben war – es hat sich ja schon verändert. Dass auch alle Menschen, die nicht so viel Geld hatten, hier leben konnten. Nicht schön, aber preiswert. Da gab es immer so eine gewisse Grundakzeptanz. Und genau mit diesen offenen Augen und Ohren wurden Menschen auch im „Syndikat“ aufgenommen. Einfach, Tür geht auf, kurz registriert, komm rein, fertig. Wir haben auf nebenan.de, das ist unser kleines Netzwerk, viel darüber diskutiert. Eine Frau schrieb, dass man ins Syndikat – wenn es mal hart auf hart ging, wenn man vor Rechtsradikalen oder als Frau irgendeinen Schutz brauchte – immer reingehen konnte und sagen: Hier, ihr müsst mir jetzt helfen. Und es wurde geholfen. Oder wenn man mal kein Geld hatte, dann gab es da auch mal ein Bier so.
Das bedeutet, die Kneipe hat auch den Veränderungen im Kiez gewissermaßen getrotzt? Das ist im gesamten Grundtenor einfach nie so gewesen, wie sich gerade das Schillerquartier verändert. Es ging eben nie um Geld, Geld, Geld, sondern um soziale Aspekte. Außerdem spiegelt das „Syndikat“ natürlich einen großen Teil meines Lebens wieder. Man kann sagen, dass ich mich seit 47 Jahren – seit dem Putsch in Chile – dafür interessiere, die Welt ein bisschen besser zu machen. Wenn du dann, wie ich im medizinischen Bereich, in einem sehr anspruchsvollen Beruf stehst und abends nach zehn Stunden dein Auto parkst, gab es eigentlich nur zwei schöne Momente. Einmal das Navi, das verkündete: „Sie haben Ihr Ziel erreicht“. Das andere war, beim Aussteigen gegenüber auf das Syndikat zu blicken, das eben doch so eine Spiegelung des eigenen Selbst ist.
Wie sind Sie damals im Schillerkiez gelandet? Ich bin in Westdeutschland aufgewachsen. Und als ich nach Neukölln gezogen bin, war ich arme Studentin. Und als ich das Studium dann fertig hatte, dachte ich mir, du weißt wo du herkommst, jetzt halte mal lieber den Ball flach und bleib mal in deiner Studentenbude.
Sie waren auch Quartiersrätin im Schillerkiez. Wie kam es dazu? Ja, fünf Jahre lang. Das Quartiersmanagement läuft ja in diesem Jahr aus. Ich habe jahrzehntelang den Kiez eigentlich gar nicht wahrgenommen, bis auf das Syndikat eben. Ich war ja immer arbeiten. In meinen allerletzten Berufsjahren habe ich dann irgendwie die Sinnlosigkeit meiner Tätigkeit erkannt, die ich auch nicht beeinflussen konnte. Da habe ich mir dann bei der Bürgerstiftung Neukölln ein Ehrenamt gesucht und immer Sonntags den Trödel organisiert. Nach sechs Jahren brach dann sozusagen mein Kreuz und ich konnte die Kisten nicht mehr schleppen. Und ich habe dann den Quartiersrat entdeckt, der sich eher versteckt gehalten hatte. Ansonsten habe ich mit der Initiative „100% Tempelhofer Feld“ das Tempelhofer Feld für alle erobert. Wir haben alle ca. 240.000 Unterschriften gesammelt und gezählt, damit am Ende die erforderliche Anzahl für den Volksentscheid übrig bleibt.
Wie haben Sie den Prozess erlebt, seit das „Syndikat“ 2018 die Kündigung erhalten hatte? Da war ja dann die erste Kiezversammlung, da bin ich hin und da wurde erstmal viel geredet. Ich habe dann gesagt, Jungs, wir müssen Unterschriften sammeln. Das kannte ich ja schon vom Tempelhofer Feld. Das Kneipenkollektiv sprach über viele Aktionen, die waren da ja sehr kreativ. Aber ich meinte, Unterschriften sind das einzige, was wir den Eigentümern überhaupt mal unter die Nase halten können. Am Ende haben sie die 5000 Unterschriften den Pears-Brüdern in London vorgelegt und waren wohl die ersten lebendigen Mieter, die diese Leute je gesehen haben. In den gesamten juristischen Prozess war ich dann nicht mehr so involviert. Ja, und jetzt hängen über der Tür nur noch Neonleuchten und rot-weißes Absperrband, so als hätte es da einen Mord gegeben. Emotional kann man das ja auch ein bisschen so sehen. Auf jeden Fall sieht es wirklich aus wie eine große Wunde. Nach den letzten Tagen bin ich auch ein bisschen am Ende meiner Kraft, ich habe natürlich auf Grund meines Berufes auch immer ein bisschen die Sorge für beide Seiten, dass niemandem etwas passiert.
Wie haben Sie die Räumung am Freitag wahrgenommen? Das waren schon ein bisschen bürgerkriegsähnliche Zustände. Ich hätte eigentlich gedacht, dass die jungen sogenannten Autonomen da das Gitter stürmen. Man muss sagen, die Polizei hat das mit großem Aufwand einfach durchgezogen. Deswegen stehen sie gerade auch mit einem Wagen vor der Tür, sobald sich mal zwei Leute vor dem Syndikat zeigen. Insgesamt muss man schon sagen, dass das maßlos übertrieben war. Im Grunde war es doch so, dass am Freitag ein Gerichtsvollzieher ein Schloss ausgewechselt hat an der Kneipentür „Syndikat“, unter dem Schutz von 700 Polizeibeamten. Da muss man sich ja schon fragen, wo da die Verhältnismäßigkeit ist.
Welche Auswirkungen hat es auf den Kiez, dass das Syndikat jetzt nicht mehr da ist? Es klingt jetzt vielleicht pathetisch, aber es ist ein bisschen so, als wäre hier das Herz aus dem Schillerquartier herausgerissen worden. Und das halt nur, weil man aus Geld noch mehr Geld machen muss. Ich kann das eigentlich immer noch nicht fassen.
Foto: Als das „Syndikat“ noch „Syndikat“ war, fotografiert von Thilo Rückeis
Wer einen Vorschlag hat, welcher Mensch hier unbedingt vorgestellt gehört: Gerne mailen an leute-m.haarbach@tagesspiegel.de.