Nachbarschaft
Veröffentlicht am 14.10.2020 von Madlen Haarbach

Ryotaro Chikushi ist unter anderem Künstler, Manager und Start-Up-Unternehmer. Aufgewachsen in Nürnberg lebte er längere Zeit in Italien und Tokio, bevor er mit seiner Familie vor rund elf Jahren nach Berlin kam. Hier will er jetzt das ehemalige C&A an der Karl-Marx-Straße in einen Raum für lokalen und internationalen Austausch verwandeln, das Nion Haus.
Herr Chikushi, wie ist die Idee für das Nion Haus entstanden? Ich bin halb Japaner, halb Italiener, und in Deutschland aufgewachsen. Ich hatte das Privileg, mit vielen Kulturen aufzuwachsen und ein Verständnis für mehrere Kulturen parallel zu haben. Ich sehe darin letzten Endes mein Daseinszweck. Vielleicht kann man sagen, dass ich Kultur zusammenbringe, den kulturellen Austausch voranbringe. Und deswegen bin ich auch seit fünf, sechs Jahren sehr engagiert, um die Partnerschaft zwischen Tokio und Berlin, beziehungsweise zwischen Japan und Europa, nach vorne zu bringen, hauptsächlich auf kultureller Ebene, aber auch auf wirtschaftlicher.
Was sind die Ursprünge des Projektes? Das war ein sehr organischer Prozess. Ich habe 2014 das erste Mal ein Event in Tokio gemacht, wo ich verschiedene Start-ups, Künstler und Musiker nach Japan mitgenommen habe. Das war ein großer Erfolg. Ich habe gemerkt, dass dieser Austausch unglaublich fruchtbar sein kann und dass das so spannende Leute, die auf verschiedenen Seiten vom Globus sitzen, extrem viel voneinander lernen können. Aber nichtsdestotrotz ist Japan ein paar tausend Kilometer entfernt von Deutschland, und wenn das Event vorbei ist, dann lebt man sich schnell wieder auseinander. Da haben wir uns gedacht, dass wir einen permanenten Ort des Treffens und des Austausches schaffen müssen. Und dadurch kam die Idee auf, das Nion zu gründen und einen Ort zu finden, an dem man das umsetzen kann.
Wie sind Sie auf das ehemalige C&A-Gebäude gestoßen? Das C&A-Gebäude haben wir vor einem knappen Jahr entdeckt. Ich habe schon länger nach einem Objekt gesucht, das eine gewisse Größe hat, wo man eine kritische Masse aufbauen kann, um verschiedene Gemeinschaften zusammenzubringen. Man muss sagen, es ist kein leichtes Gebäude, aber ich mag vor allem die Geschichte, die dahinter steckt. Das Gebäude wurde immer ein bisschen negativ dargestellt, es sieht ja auch nicht schön aus, wenn da Obdachlose davor liegen und ist kein Zeichen einer funktionierenden Gesellschaft. Gleichzeitig war das Gebäude ja eine Geflüchtetenunterkunft. Der Gedanke, daraus etwas zu schaffen, das gemeinnützig ist und der Gesellschaft gut tut, etwas wertvolles, spricht uns sehr an. Gleichzeitig sind aber auch viele Faktoren schwierig, etwa der finanzielle. Das Gebäude liegt in einer Premium Location und ist in Privatbesitz, und der Besitzer ist natürlich an einer Wirtschaftlichkeit des Projektes interessiert. Dieser Spagat ist für uns als gemeinnütziges Projekt eine Herausforderung.
Wie finanziert sich das Nion-Haus? Bis jetzt finanziere ich das privat, aber ich bin nicht so aufgestellt, dass ich das dauerhaft alleine stemmen kann. Wir wollen künftig einen Teil über gemeinnützige Investoren und Kredite finanzieren.
Was genau haben Sie in dem Gebäude alles vor? Das ist eine durchaus komplexe Mischnutzung, mit vielen verschiedenen Themen. Aber wir sehen da auch viele Synergien. Wir wollen letzten Endes, dass auf jeder Ebene verschiedene Gemeinschaften entstehen, zu gewissen Ländern und Themen, die sich aber untereinander gegenseitig befruchten. Im Erdgeschoss planen wir etwa Lokale und individuelle Einzelhändler, etwa Designer und Kunsthandwerker. Außerdem soll es Gastronomie mit Raum für kulinarische Experimente geben. Die ehemalige Großküche der Geflüchtetenunterkunft wollen wir etwa umbauen für Kiez-orientierte Events. Im ersten Obergeschoss wollen wir auch Einzelhandel und Gastronomie unterbringen, allerdings eher in Form abgepackter Produkte. Das wollen wir mit einem Wellness- und Gesundheitsbereich kombinieren. Im zweiten Obergeschoss planen wir einen Start-Up-Campus, einen Bereich für E-Sports und ein Gamecenter. Im dritten Obergeschoss soll es hauptsächlich Büros geben, hauptsächlich von jenen Unternehmen, die mit uns das Haus gestalten. Außerdem haben wir im hinteren Teil eine Kita geplant. Im vierten Obergeschoss, dem alten Lager, wollen wir einen Eventspace schaffen, dafür arbeiten wir noch am Konzept. Auf der Dachterrasse soll eine grüne Oase entstehen, außerdem gibt es einen großen Bereich für die Kita. Im Hinterhof soll es außerdem einen Bereich für Kiezkultur mit einem Café geben.
Wie ist aktuell der zeitliche Plan? Wir sind gerade noch in der Entwicklungsphase und müssen auch den Bauantrag noch abgeben. Wir sind sehr eng mit dem Bezirk im Gespräch. Nichtsdestotrotz ist es ein sehr altes Gebäude und es gibt noch viele Hürden, die wir überwinden müssen. Wir wünschen uns, dass wir im Sommer 2021 öffnen können. Wir hoffen, dass wir bis dahin verschiedene kleine Events machen und auch immer wieder die Türen ein bisschen öffnen können, um ein bisschen erlebbar zu machen, was wir da vorhaben.
Foto: promo
Wer einen Vorschlag hat, welcher Mensch hier unbedingt vorgestellt gehört: Gerne mailen an leute-m.haarbach@tagesspiegel.de.