Nachbarschaft
Veröffentlicht am 20.01.2021 von Madlen Haarbach
Eva-Marie Schoenthal ist die älteste Bezirksverordnete Berlins. Am kommenden Montag, dem 25. Januar, wird sie 90 Jahre alt. Am Telefon spricht sie über ihr politisches Leben.
Frau Schoenthal, am Mittwoch findet die erste digitale Bezirksverordnetenversammlung (BVV) statt. Wie geht es Ihnen aktuell mit der Bezirkspolitik? Ich bin richtig stolz auf mich. Klar habe ich ab und an meine Schwierigkeiten, aber ich habe festgestellt, dass das bei den Jüngeren genauso ist. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich in die digitalen Sitzungen reingekommen bin, manchmal klappt das mit dem Ton nicht. Das hängt auch damit zusammen, dass ich nicht ganz so gut über die Geräte Bescheid weiß, wie diejenigen, die mit der Technik aufgewachsen sind. Aber eigentlich klappt das ganz gut.
Wann sind Sie in die Politik gegangen? In die SPD bin ich 1968 eingetreten, damals auch gleich hier in Rudow. Ich bin immer noch in der Abteilung, in die ich mal eingetreten bin. In die Bezirksverordnetenversammlung bin ich 1985 gekommen, das ist schon lange her, nech‘? (lacht). Seitdem war ich durchgängig Bezirksverordnete. Ich habe mir gesagt, ein bisschen was muss ich ja wohl doch getan haben, sonst hätte man ja auch sagen können: Also, die nehmen wir nun bestimmt nicht mehr.
Sie wurden 1931 in Charlottenburg geboren. Was hat Sie nach Neukölln verschlagen? Es gab mal eine Zeit, ähnlich wie jetzt, in der man keine Wohnung bekommen hat. Dann hatten wir Freunde, die haben gesagt: „Mensch, wir arbeiten doch alle im öffentlichen Dienst“ – da gab es damals Zuschüsse. Freunde hatten damals Geld gespart, mein Mann und ich aber nicht. Aber wir haben es trotzdem geschafft und ein Stückchen Grundstück in Rudow gekauft. Der Architekt war doll, der ist immer gekommen und hat gesagt: „Leute, das Geld ist verbraucht! Es muss jetzt das, das und das gemacht werden. Ich zeig euch das mal und dann macht ihr’s selber.“ Wir haben es geschafft, wir haben ein Haus gebaut, und darin wohne ich auch immer noch und finde es auch immer noch sehr schön.
Haben Sie je überlegt, den Bezirk wieder zu verlassen? Für mich gibt es eigentlich keinen Grund, aus Neukölln wegzuziehen. Neukölln ist doch ein interessanter Bezirk und hat so viele wunderschöne Ecken, die viele nicht kennen. Da kann man richtig stolz drauf sein.
Wie hat sich der Bezirk aus Ihrer Sicht in den vergangenen Jahrzehnten verändert? Neukölln hat natürlich mehr Menschen aus anderen Ländern aufgenommen und sich dadurch verändert. Ich finde es immer sehr schön, dass alles so vielfältig ist. Natürlich hat Neukölln auch negative Seiten, aber ich gehe davon aus, dass das in allen Bezirken so ist. Klar hat sich in Neukölln einiges verändert, aber vieles zum Positiven.
Welche Veränderungen gab es in der BVV? Die Arbeit ist mehr geworden und auch wesentlich intensiver. Ich will nicht behaupten, dass man damals nichts zu tun hatte – das wäre weit gefehlt. Wenn man gute Arbeit leisten möchte – und das möchte man ja – muss man schon hinterher sein und aufpassen, was alles passiert.
Was waren denn damals die drängenden Themen in der Bezirkspolitik? Im sozialen Bereich hatten wir schon immer Schwierigkeiten. Es gab immer Familien, auch viele deutsche, die nahe an der Armutsgrenze lebten und wo man vielleicht helfend eingreifen konnte. Nach wie vor ist die Altersarmut ein Problem. Wir haben sehr viele ältere Bürgerinnen und Bürger, die durchaus das Recht auf Unterstützung etwa durch die Grundsicherung hätten. Die aber eine Erziehung genossen haben, die ihnen sagt: „Das schaffe ich alleine“. Sie versuchen, mit ganz wenig auszukommen, um bloß nicht zum Amt zu gehen. An die ist es einfach sehr schwer ranzukommen. Ganz wichtig finde ich auch, dass man versuchen muss, gerade die älteren Menschen mitzunehmen in die digitale Welt. Die können wir doch nicht draußen vor der Tür stehen lassen.
Gibt es etwas, was Sie in den vergangenen Jahren erreicht haben und worauf Sie besonders stolz sind? Wir haben einen gemeinsamen Antrag gestellt, dass man versuchen soll, früher bei drohenden Wohnungsräumungen einzugreifen. Der Antrag ist angenommen worden und jetzt gibt es seit einiger Zeit ein Präventionsteam, das schon fantastische Arbeit geleistet hat. Die haben viele Wohnungen retten können dadurch, dass sie beizeiten eingegriffen und die Menschen unterstützt haben. Doch, ich denke, darauf können wir stolz sein.
Zum Schluss müssen wir natürlich noch eine Frage stellen: In diesem Jahr finden erneut Wahlen statt. Werden Sie wieder antreten? Ich habe mich nochmal auf die Liste setzen lassen. Aber es gibt mittlerweile viele junge Leute und ich denke, wenn die aktuelle Wahlperiode vorbei ist, ist es auch genug für mich. Ich schaffe nicht mehr das, was ich vor zwei oder drei Jahren noch geschafft habe. Das wird ja leider nicht besser. Wobei ich mit meinem Schaffensdrang eigentlich noch ganz zufrieden bin (lacht).
Was werden Sie denn in Ihrem Leben nach der Politik machen? Ich habe noch keine richtigen Pläne. Ich werde öfter schwimmen gehen, wahrscheinlich im Sommer mal fünf oder sechs Wochen statt wie bisher vier an der Ostsee verbringen. Außerdem habe ich einen Hund, der braucht auch seinen Auslauf. Und ich habe zu Hause eine Menge nachzuholen und aufzuräumen, ich habe viele Aktenordner, die ich mal durchgucken muss. Also nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich dann Langeweile hätte.
Foto: Kitty Kleist-Heinrich, bereits bei einem Termin 2015
Wer einen Vorschlag hat, welcher Mensch hier unbedingt vorgestellt gehört: Gerne mailen an leute-m.haarbach@tagesspiegel.de.