Nachbarschaft

Veröffentlicht am 03.03.2021 von Madlen Haarbach

Dass der Bezirk das Vorkaufsrecht für ein Haus prüft und am Ende ausübt oder eben nicht, kommt mittlerweile so regelmäßig vor, dass das eigentlich keine Nachricht mehr ist. Der Fall der Hermannstraße 48 ist allerdings ein spezieller: Hier übte Stadtentwicklungsstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) das Vorkaufsrecht am 22. Februar nicht zugunsten einer landeseigenen Wohnungsgesellschaft oder Genossenschaft aus, sondern zugunsten der Mieter:innen selbst.

In dem Haus, das die Bewohner:innen selbst kurz „H48“ nennen, leben aktuell rund 140 Menschen, von Einzelperson bis Groß-WG. Neben den Wohnungen in Vorder-, Quergebäude und Seitenflügel gehört zum Komplex auch ein Fabrikgebäude, in dem unter anderem eine Tischlerei und Therapeut:innen arbeiten. Außerdem gibt es seit Langem einen linken, unkommerziellen Projektraum.

Die Hausgemeinschaft hat in den vergangenen zwei Monaten beschlossen, nicht auf eine Genossenschaft zu setzen – sondern das Haus lieber selbst zu verwalten. Über das „Mietshäuser Syndikat“ wurden sie selbst zu Käufer:innen. Über das Mietshäuser Syndikat, eine nicht-kommerzielle Beteiligungsgesellschaft, werden deutschlandweit Häuser in Kollektiveigentum überführt. Das Syndikat steigt in den Kauf mit ein – wodurch auch verhindert werden soll, dass das Haus zu einem späteren Zeitpunkt weiterverkauft wird. Rund 160 Häuser in ganz Deutschland gehören laut eigenen Angaben aktuell zum Mietshäuser Syndikat. Die Finanzierung erfolgt unter anderem über Direktkredite von privaten Geldgeber:innen, die später über Mietzahlungen zurückgezahlt werden sollen.

Am Ende gründet jedes Haus einen eigenen Hausverein, der ebenso wie das Mietshäuser Syndikat Gesellschafter der selbst verwalteten Haus-GmbH wird. In Berlin gehören mittlerweile 20 Hausprojekte zum Syndikat, darunter viele ehemalige besetzte Häuser. In Neukölln gibt es neben der H48 auch das Hausprojekt „Chuzpe Plietsch“ in der Karl-Marx-Straße 282 und das Hausprojekt „Wohnen in Generationen“ am Mariendorfer Weg 74.

Ganz sicher, dass der Kauf klappt, sind die Mieter:innen allerdings noch nicht: Kurz vor Fristablauf legte der ursprüngliche Käufer demnach eine Abwendungsvereinbarung vor, die das Bezirksamt aktuell prüft – um dann kurz vor Redaktionsschluss dieses Newsletters mitzuteilen: „Wir erachten die übersendete Abwendungserklärung nicht als ausreichend um das Vorkaufsrecht abzuwenden“, so Stadtrat Jochen Biedermann (Grüne). Rechtssicher ist der Vorkauf dadurch allerdings noch nicht, da es eine gerichtliche Widerspruchsfrist gibt.

Der ganze Prozess habe „in den vergangenen zwei Monaten enorm viel Arbeit und Nerven gekostet. Viele von uns haben hochspezialisiert in verschiedenen Arbeitsgruppen nahezu rund um die Uhr daran gearbeitet“, heißt es von den Bewohner:innen der H48. Parallel sei eine landeseigene Wohnungsgesellschaft für den Kauf via Vorkaufsrecht in Frage gekommen. Die Bewohner:innen hätten sich aber dagegen und für die Selbstverwaltung entschieden, was sie als „Sternstunde der Mitbestimmung im Häuserkampf“ bezeichnen. Gleichzeitig kritisierten sie den gesamten Prozess des Vorkaufsrechtes, etwa fehlende Mitbestimmung, die überteuerten Preise für die Häuser und zu kurze Fristen.

Foto: Eli Börnicke

Wer einen Vorschlag hat, welcher Mensch hier unbedingt vorgestellt gehört: Gerne mailen an leute-m.haarbach@tagesspiegel.de.