Nachbarschaft

Veröffentlicht am 07.02.2024 von Madlen Haarbach

Der „Stein des Anstoßes“, wie ihn Matthias Henkel bezeichnet, ist schwer zu finden und leicht zu übersehen. Bei einer Podiumsdiskussion im Museum Neukölln warf dessen Chef Henkel die Frage auf: Quo vadis „Hererostein“? Also wie umgehen mit einem Stein, der an Völkermörder erinnert statt an die Opfer des Genozids? „Es ist viele Jahre hart gerungen worden um den Stein“, sagte dann auch Bildungsstadträtin Karin Korte (SPD). Und stellte klar: Es sei ihr wichtig, dass zunächst offenbleibe, was mit dem Stein geschehen soll. Dabei hatte der Antrag der Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung, der die erneute Diskussion um die Zukunft des Steines angestoßen hat, klar dessen Entfernung gefordert. Die Podiumsdiskussion war Teil eines öffentlichen Prozesses, bei dem am Ende eine Entscheidung stehen soll: Bleibt der Stein? Wird er entfernt und wenn ja, wohin kommt er? Klar scheint zunächst: So wie die Situation aktuell auf dem ehemaligen Garnisonsfriedhof ist, soll sie nicht bleiben.

Wer den Friedhof am Columbiadamm betritt, hat Mühe, den Stein überhaupt zu finden. Erst ganz am westlichen Ende des Friedhofes entdeckt man ihn – und dann vor allem deshalb, weil rote Farbreste an ihm abblättern. Der Stein erinnert an sieben deutsche Soldaten, die zwischen 1904 und 1907 „am Feldzuge in Südwestafrika freiwillig teilnahmen“ und „den Heldentod“ starben. Tatsächlich lesen kann man die Schrift auf dem mittlerweile recht verwitterten Stein kaum noch. Der Stein wurde 1907 errichtet und stand zunächst auf einem Kasernengelände in Kreuzberg. Seit 1973 steht er auf dem Friedhof.

Denkmäler erinnern an vermeintlich glorreiche Taten deutscher Soldaten.

Direkt vor dem Stein befindet sich seit 2009 eine Gedenkplatte. Sie erinnert an die rund 80.000 Menschen, die von deutschen Soldaten in Namibia grausam ermordet wurden. Zuvor hatten Initiativen und Vereine jahrelang dagegen protestiert, dass hier zwar an die Täter, aber nicht die Opfer der Kolonialherrschaft erinnert wurde. Allerdings erwähnt die Platte nicht, dass es sich bei den Opfern um Herero und Nama gehandelt hat – und auch das Wort Genozid kommt nicht vor. Kritische Stimmen, etwa vom Verein Berlin Postkolonial, sehen darin eine Verharmlosung. Zumal der Stein bis heute Treffpunkt rechtsextremer Gruppen sein soll, die hier laut Medienberichten bei bestimmten Anlässen an ihre abstruse Version des Völkermordes an den Herero und Nama erinnern.

Ein Grabfeld für Gefallene des Zweiten Weltkrieges.

Davon, dass die Erinnerung an Täter hier präsenter ist als an Opfer, zeugt auch der Rest des Friedhofes. Man läuft vorbei an unzähligen militärischen Denkmälern, die zwischen Grabfeldern für gefallene Soldaten der Weltkriege stehen. Kränze und Grabkerzen zeugen davon, dass hier nach wie vor Erinnerungsveranstaltungen stattfinden. Dazwischen stehen Grabsteine für Magistrate, Generäle und Stadtbedienstete. Viele sind sehr verwittert, einige komplett mit Efeu überwuchert, andere irgendwann umgefallen und liegen gelassen worden. In den Inschriften, die noch zu entziffern sind, wird vielfach an Menschen erinnert, die „siegreich für ihr geliebtes Vaterland gestorben“ und „künftigen Generationen ein Beispiel sein sollen“. Auf einem Denkmal prangt ein riesiges Eisernes Kreuz. Dazwischen findet man aber auch neuere Gräber – und vor allem viele gut gepflegte muslimische Grabfelder. Hinter dem „Herero-Stein“ begrenzt eine Backsteinwand das Friedhofsgelände. Dahinter ragt die Silhouette der Rutsche des angrenzenden Columbiabades hervor. An warmen Tagen muss die Welt der Lebenden und jene der Toten sich hier sehr nahe sein.

„Dieser Friedhof ist ein Abstellplatz für eine ganze Reihe problematischer Denkmäler, die niemand mehr haben will“, sagt Kunsthistorikerin Gabriele Dolff-Bonekämper bei der Podiumsdiskussion. Und findet: Der Stein ist genau dort, wo er hingehört, richtig. Der Herero-Nachfahre und Aktivist Israel Kaunatjike stellt hingegen klar: „Das ist kein Herero-Stein, das ist ein Stein, der Mörder repräsentiert. Das können wir nicht akzeptieren.“ Schnell wird klar: Die Diskussion, um die es eigentlich geht, ist nicht die um einen fast vergessenen Findling. Sondern jene nach einer angemessenen Erinnerung an die Opfer eines Völkermordes, der von deutschen Soldaten begangen wurde. Es geht um die Anerkennung der Schuld und auch um die Frage, warum Deutschland keine Reparationen zahlen will. Und so stellt auch Ute Evert, Leiterin des Stadtgeschichtlichen Museums auf der Zitadelle Spandau, fest: „Das eigentliche Problem ist nicht die Sichtbarkeit eines hässlichen Findlings, sondern die Unsichtbarkeit derjenigen, die unter der Kolonialherrschaft gelitten haben.“

Der Friedhof sei eine Art Abstellplatz ungewollter Denkmäler, sagt Kunsthistorikerin Gabriele Dolff-Bonekämper.

Es geht an dem Abend auch um die Frage: Kann man den Stein entfernen und alle übrigen problematischen Denkmäler einfach stehenlassen? Auch unter dem Gesichtspunkt, dass Rechtsextreme hier ein tradiertes Heldenbild zelebrieren? Und wenn man der Opfer des Genozids gedenkt, wäre der Friedhof dann der richtige Ort dafür? Zumindest über die letzte Frage ist sich das Podium einig: „Ein anständiges Denkmal für die Herero und Nama gehört nach Berlin-Mitte, und nicht auf einen kaum besuchten Friedhof“, sagt Dolff-Bonekämper. Neukölln solle eine entsprechende Initiative an den Senat herantragen. Und auch Ute Evert fordert ein „Denkmal, das den Namen Herero-Stein verdient hat.“ Denn alle sind sich einig: Der Stein hat das nicht. Und die, wie Kaunatjike sie nennt, „respektlose kleine Platte“ auch nicht.

  • Die Diskussion rund um die Zukunft des Steines soll noch bis zum Sommer, parallel zur Ausstellung „Buried Memories“ im Museum Neukölln, mit verschiedenen Formaten fortgesetzt werden. Mehr Infos gibt es hier. 
  • Fotos: Madlen Haarbach / Tagesspiegel