Nachbarschaft

Veröffentlicht am 15.05.2024 von Masha Slawinski

Trauer in Bewegung. An jedem letzten Samstag im Monat findet im Britzer Garten ein Spaziergang der besonderen Art statt. Menschen, die um den Verlust einer geliebten Person trauern, bekommen dort die Gelegenheit, über ihren Schmerz zu sprechen. „Wir nennen das ‚Trauer in Bewegung‘. Es hat sich gezeigt, dass es vielen Menschen in der Bewältigung ihrer Trauer hilft, wenn sie sich auch körperlich bewegen“, sagt Doris Wilk. Die pensionierte Sozialarbeiterin begleitet den Spaziergang ehrenamtlich, gemeinsam mit ihrer Kollegin Doris Michalzik. Es handelt sich dabei um ein Angebot des Evangelischen Kirchenkreises Tempelhof-Schöneberg.

Trauer über den Verlust einer geliebten Person ist ein wechselhafter Prozess, der nicht nach dem Kalender funktioniert. „Manchmal überfällt die Trauer einen völlig unvermittelt. Es läuft ein bestimmtes Lied im Radio, es begegnet einem etwas aus der Vergangenheit und schon ist sie wieder da“, sagt Wilk.

Die Unberechenbarkeit von Trauer ist Wilk, deren Ehemann 2019 gestorben ist, vertraut. „Da war zuerst einmal ein großes Loch. Ich habe mir dann selbst Hilfe für mich gesucht und ein Jahr lang eine Trauergruppe des evangelischen Kirchenkreises besucht. Das hat mir wirklich gutgetan“, berichtet Wilk. Ein Jahr hat sie an der Trauergruppe teilgenommen. Danach hatte sie das Gefühl, dass sie selber gerne Menschen in ihrer Trauer begleiten würde.

Zudem war es ihr wichtig, auch nach ihrer Pensionierung im Jahr 2021 etwas Sinnvolles zu tun. Neben den monatlichen Spaziergängen engagiert Wilk sich im Trauercafé und führt Einzelgespräche mit Trauernden. „Ich habe das Gefühl, dass die Trauerbegleitung etwas ist, das mir liegt und das ich gern mache. Es klingt vielleicht unpassend, aber es macht mir Freude, Menschen in ihrer Trauerbewältigung zu begleiten und zu unterstützen“, sagt Wilk.

Der Spaziergang durch den Britzer Garten soll Trauernden die Chance geben, über ihren Schmerz zu reden, egal wie weit er zurückliegt. Es läuft immer ähnlich ab: Interessierte treffen sich um 15 Uhr an der Mohriner Allee. Manchmal finden sich dort zehn, in der Regel fünf bis sechs Menschen zum Spaziergang ein. Häufig sind es Frauen.

In einer ersten Eingangsrunde teilen die Trauernden, wer gestorben ist und was sie gerade beschäftigt. Dann spaziert die Gruppe gemeinsam durch den Britzer Garten. Meist bilden sich Zweier- oder Dreiergrüppchen. „Es muss niemand auf dem Spaziergang allein gehen, darauf achten meine Kollegin und ich“, erklärt Wilk. Je nach Stimmung endet der Spaziergang in einem Café. Zum Abschluss teilt jede*r, mit, wie es ihm geht.

Beim Trauerspaziergang geht es nicht immer nur traurig zu: „Wenn wir beim Spaziergang lachen, sind manche Teilnehmerinnen erschrocken und fragen sich, ob das überhaupt sein darf. Meine Kollegin und ich sagen ihnen in so einem Fall, dass das völlig in Ordnung ist und dass auch die Freude wieder Platz haben darf“, sagt Wilk.

Wilk möchte vor allem eines bei den Spaziergängen vermitteln: „Trauern braucht Zeit“.  Aus Wilks Erfahrung räumt die Gesellschaft Trauernden dafür leider manchmal nicht genügend Raum ein. Das erste Trauerjahr, in dem alles erst einmal allein erlebt werden muss – Geburtstage, Jahrestage, Feiertage, Hochzeitstage – sei heute nicht mehr so fest im Verständnis verankert. „In der Gesellschaft gibt es häufig die Erwartung, dass die Trauer nach einer gewissen Zeit vorbei ist und das Leben wieder seinen normalen Gang geht“, sagt Wilk.

Doch Trauer sei eben nicht linear und verlaufe bei jedem anders. Bei einem intensiver als bei dem anderen. Es sei wichtig zu akzeptieren, dass Trauer phasenweise immer wieder zurückkomme. „Mit der Zeit weiß man: Das ist jetzt eine Phase, ich lasse der Trauer ihren Raum und weiß, dass sie auch wieder gehen wird“, sagt Wilk. Aus eigener Erfahrung weiß sie: „Dieses Heftige, dieses Schwere, das wird mit der Zeit weniger.“ Und bei diesem Prozess wollen Wilk und ihre Kollegin die Menschen bei dem Spaziergang ein Stück begleiten. 

  • Infos. Der nächste Trauerspaziergang findet am Samstag, den 25. Mai, im Britzer Garten statt. Treffpunkt ist die Mohriner Allee 152, um 14.50 Uhr. Der Spaziergang beginnt um 15 Uhr. Eine Voranmeldung ist nicht erforderlich. Aktuelle Informationen zum Trauerspaziergang gibt es hier.