Intro
von Christian Hönicke
Veröffentlicht am 28.06.2018
die Luft ist raus, die Ferien stehen an. Zeit zum Durchschnaufen – doch für die meisten Eltern beginnt der Schulstress jetzt erst so richtig. Durch die überfüllten Grund- und Sekundarschulen gibt es gerade in Pankow ein Hauen und Stechen um die begehrtesten Plätze. Dabei sind die Vergabemodalitäten selbst für erfahrene Eltern nur schwierig zu überblicken. An vielen Pankower Grundschulen etwa wird wegen des großen Andrangs (siehe Namen & Neues) Jahr für Jahr der Einzugsbereich für Außenstehende nicht nachvollziehbar neu zugeschnitten. Ein Schul-Lotto spielt sich dort alle zwölf Monate ab, die Eltern erwarten zitternd die Bescheide des Bezirks, Gerüchte blühen, in manchen Kiezen bilden sich sogar regelrechte Selbsthilfegruppen. Besonders schwierig wird es, wenn Erstklässler plötzlich auf eine andere Schule sollen als ihre großen Geschwister. Eine familiäre Ausnahmesituation, die unser Leser Peter Krolop aus Niederschönhausen kennt und uns daran Anteil haben lässt:
„Völlig undurchsichtig für uns Eltern und auch für unsere Kinder ist, dass an Grund- und Sekundarschulen unterschiedliche Geschwisterregelungen greifen. 2014 wurde die an den Berliner Grundschulen abgeschafft. Vorher hatten wir Eltern die Sicherheit, dass Geschwister dieselbe Grundschule besuchen. Das war auch sinnvoll: Grundschulkinder können noch nicht unbedingt allein zur Schule oder nach Hause gehen. Bringen und Abholen beschränkte sich so auf einmalige Wege mit wenig Abstimmungsbedarf.
Jetzt aber ist diese Geschwisterregelung außer Kraft. Besonders belastend ist das, weil die Grenzen der Grundschul-Einzugsgebiete je nach Andrang jährlich ‚dynamisch angepasst‘ werden. Eine solche ‚dynamische Verschiebung‘ kann dazu führen, dass die jüngere Schwester an eine andere Grundschule geschickt wird als ihr Bruder im vorigen Jahr. Wir Eltern müssen dieser Trennung der Geschwisterkinder praktisch ohnmächtig zusehen, dagegen gibt es keine rechtliche Handhabe. Ein schlimmes Gefühl.
Im Alltag geht die Belastung dann erst richtig los. Unterschiedliche Grundschulen bedeuten für Eltern mit mehreren Kindern, dass sie völlig unterschiedliche Systeme ‚managen‘ müssen. Neben dem unterschiedlichen Schulweg müssen auch Wandertage, Aufführungen, Schulfeste, Geburtstage, Trödelmärkte, ‚Fortbildungskurse der Erzieher/Lehrer‘ (was meist auch einen zusätzlichen ‚freien Tag‘ bedeutet), der Tag der Zeugnisse und Elternabende zu unterschiedlichen schulischen Themen doppelt geplant werden. Jeder Schultag ist eine logistische Grenzerfahrung.
Wenn es dann an die weiterführenden Schulen geht, folgt eine herrlich groteske Überraschung. Dort existiert die Geschwisterregelung nämlich weiterhin. Mit absurden Konsequenzen: Sie sorgt dafür, dass Grundschulkinder einer Klasse unterschiedliche Aufnahmechancen haben. Je nachdem, ob ein Geschwisterkind schon auf die weiterführende Wunschschule geht, sticht der/die Grundschüler/in das Kind ohne Geschwister aus – unabhängig vom Leistungsstand.
Ein Schüler ohne ältere Geschwister auf der gewünschten Schule und mit einem guten Notendurchschnitt hat deswegen das Nachsehen gegenüber seinem Ex-Banknachbarn aus der Grundschule mit einem schwächeren Notendurchschnitt, aber schon einem älteren Geschwisterkind auf der weiterführenden Wunschschule. Da fragt man sich: Wem hilft das? Wo ist der Vorteil? Wir haben es bis heute nicht verstanden.“
Christian Hönicke ist Pankower. Wenn Sie Anregungen, Kritik oder Wünsche haben, schreiben Sie ihm einfach eine E-Mail an leute-c.hoenicke@tagesspiegel.de.