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von Christian Hönicke
Veröffentlicht am 12.07.2018
Der renitente Anwohner ist das Schreckgespenst der Stadtplaner. Wo auch immer in Berlin gebaut werden soll, gehen die Bürger auf die Barrikaden. Um diesen Widerstand zu brechen, ist der Bezirk beim Großprojekt Michelangelostraße auf eine ganz spezielle Idee gekommen. Statt den Anwohnern wie üblich drei, vier klotzige Entwürfe zur Auswahl vorzulegen, ließ man sie das künftige Quartier selbst bauen – mit Bausteinen. „Die Bürger haben mit Styroporklötzchen und Symbolen Häuser, Grünflächen, Parkplätze und so weiter angeordnet“, sagt Pankows Baustadtrat Vollrad Kuhn (B‘90/Grüne). Passiert ist das auf den beiden ganztägigen Standortwerkstätten.
Herausgekommen sind vier Varianten an vier Klötzchentischen – mit jeweils etwa 720, 850, 1000 und 1150 Wohnungen. „Teilweise sind die Pläne schon relativ realistisch“, so Kuhn. „Mitunter sind sie sehr genau ausgemessen, was Abstände und Parkplätze betrifft, von Menschen mit Ahnung.“ Die Stadtplanungsexperten des Bezirks sollen sie nun auf ihre Machbarkeit hin prüfen und anpassen.
Die Michelangelostraße gehört zu den zwölf größten Bauvorhaben Berlins. Die breite Straße am nördlichen Rand Prenzlauer Bergs durchzieht ein Quartier mit DDR-Plattenriegeln. Das soll verdichtet werden, indem die riesigen vorgelagerten Parkplätze und Freiflächen teilweise bebaut werden. Die Straße soll unter Freihaltung einer Tramtrasse etwas verlegt werden. Verantwortlich ist der Bezirk. Es gab bereits einen städtebaulichen Wettbewerb, der Siegerentwurf stieß jedoch bei den Anwohnern auf großen Widerstand. Pankow hat deshalb noch einmal von vorn angefangen, ein umfangreiches Beteiligungsverfahren aufgesetzt und die Bürger dabei mit den Bauklötzen selbst Ideen für Vorentwürfe entwickeln lassen.
Sind das nicht nur Kindergartenspiele, die die Baugegner besänftigen sollen, aber am Ende doch nicht umgesetzt werden? Nein, sagt Stadtrat Kuhn. Er verspricht, die Ideen in die konkrete Bauplanung aufzunehmen. Die Anwohner plädierten zum Beispiel mehrheitlich für den Bau von Hochhäusern, um möglichst viele Grünflächen zu ermöglichen. Das stößt beim Bezirk auf Zustimmung. „Es ist ganz gut, wenn man flächensparend baut“, so Kuhn. Die 12-geschössigen Nachbarbauten in Greifswalder und Kniprodestraße könne man als Höhenreferenz nehmen.
Es soll in der Michelangelostraße nicht zu einem Eklat wie beim „Blankenburger Süden“ kommen, als die Anwohner vom Senat durch im Geheimen ausgeheckte Baupläne geschockt wurden. „Das Wichtigste ist, dass die Bürger nicht das Gefühl haben, dass wir sie über den Tisch ziehen“, sagt Kuhn. „Wir machen keine ganz neuen Vorschläge, aber wir werden natürlich eigene Ideen einbringen.“
Das gilt schon allein für das Bauvolumen. Während die Anwohner maximal 1150 Wohnungen wollen, gilt laut Kuhn: „Die Zielvorstellung ist 1500 Wohnungen.“ Gesetzt sind der Bau einer vermutlich fünfzügigen Schule, die Erweiterung von Kitas und die Einrichtung einer Buswendeschleife.
Die vom Bezirk angepassten Baupläne sollen am 6. September noch einmal mit den Anwohnern diskutiert und festgezurrt werden. Auf einer großen Veranstaltung Ende Oktober/Anfang November sollen sie dann der Öffentlichkeit präsentiert werden. Dabei können Bürger und Bezirk ihr Votum für eine Variante abgeben. Ziel ist es laut Kuhn, bis Ende des Jahres eine finale Vorzugsvariante zu finden.
Christian Hönicke ist Pankower. Wenn Sie Anregungen, Kritik oder Wünsche haben, schreiben Sie ihm einfach eine E-Mail an leute-c.hoenicke@tagesspiegel.de.