Intro

von Christian Hönicke

Veröffentlicht am 18.10.2018

Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) hat am Mittwoch in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eine vehemente Rede gegen die „perfide Spaltungspolitik“ der AfD gehalten. Sie war eine Antwort auf eine Große Anfrage der AfD zu „linksextremistischen Strukturen“ im Bezirk Pankow. In insgesamt 55 Fragen wollte sie diese detailliert vom Bezirksamt aufgeschlüsselt bekommen haben. Benn erklärte daraufhin, das Bezirksamt sei keine politische Polizei und betreibe keine „Gesinnungsschnüffelei“ in jedwede Richtung. Er warf der AfD vor, ihre Sorge gelte nicht „den vermeintlichen Gefahren des Linksextremismus. Ihre Sorge gilt dem Zerfall einer Welt, in der Rasse, Nation, Geschlecht und Sexualität Kategorien mit Platzverweis waren, einer Welt in der weiße, vorzugsweise deutsche Männer über jede andere menschliche Existenz Macht ausüben konnte und sei es nur als Deutungsmacht.“

Seit die AfD in den Parlamenten sitze, „versucht sie feministische, antirassistische, antifaschistische und antinationalistische Initiativen, Vereine und Projekte erstens zu identifizieren, zu kriminalisieren und damit zu verunsichern“, so Benn. Dabei sei die AfD „das Problem, von dem sie ablenken will“, „eine Bedrohung für die meisten Menschen in diesem Land, in dieser Stadt und diesem Bezirk. Denn die meisten Menschen wollen frei sein davon, von anderen ihren Platz in der Gesellschaft und auf der Erde zugewiesen zu bekommen. Das aber ist das, was die AfD versucht, einen Volkskörper zu erfinden, einen homogen ausgerichteten Organismus.“

Benn bezeichnet die AfD zudem als „eine Art Prüfung der Ernsthaftigkeit unserer demokratischen und humanistischen Gesinnung. Wir werden sie bestehen. Und darum werden auch Sie weiter Ihr politisches Gift versprühen dürfen in der freien Luft einer freien Gesellschaft, geschützt vom Grundgesetz. Aber natürlich wissen wir dennoch, wozu jene, deren Wiedergänger Ihre Partei ist, fähig und bereit waren.“

Pankow und auch die BVV jedenfalls ließen „sich nicht für dumm verkaufen“, so Benn. „Pankow bleibt weltoffen und tolerant, weil Pankow die Freiheit liebt und das gute Leben für alle.“

Hier finden Sie die Rede in voller Länge:

„Ihre Anfrage entbehrt insoweit nicht einer gewissen, wenn auch unfreiwilligen Komik, als man den Sicherheitsbehörden unseres Landes nicht erst seit dem NSU und Herrn Maaßen ja nun Einiges vorwerfen kann. Aber eins sicherlich nicht: Auf dem linken Auge blind zu sein. Für seine Aufmerksamkeit dem Linksextremismus gegenüber braucht er da Ihre und unsere Hilfestellung sicher nicht.

Wenn der Verfassungsschutz ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom haben sollte, dann ja wohl eher in Ihre Richtung. Warum gibt es dann aber keine entsprechenden Anfragen in diese Richtung? Das ist sehr einfach. Weil alle andere Fraktionen dieses Hauses wissen, Sie natürlich auch: Das Bezirksamt ist nicht zuständig und betreibt auch keine Gesinnungsschnüffelei. Wir haben keine Innenbehörde. Wir sind keine politische Polizei. Weder in die eine noch in die andere Richtung. Darum liegen dem Bezirksamt zu den Fragen 1-55 auch entweder keinerlei Kenntnisse vor oder sie sind von Ihnen schon so oft auf allen Ebenen abgefragt und beantwortet worden, dass sich eine weitere Wiederholung mit Verweis auf die Antworten auf Ihre eigenen Anfragen erübrigt.

Die Anfrage selbst ist allerdings aufschlussreich, als Sie uns einen tieferen Einblick in die Gedankenwelt der AfD erlaubt. In dieser Welt scheinen Zivilgesellschaft und Parteien geradezu vom linksextremen Gedankengut und linksextremistischen Strukturen durchflutet zu sein. Von welchem Standpunkt aus man zu einem solchen Eindruck kommen kann, wie weit rechts man stehen muss, erklärt sich von selbst.

Seit die AfD in den Parlamenten sitzt, versucht sie feministische, antirassistische, antifaschistische und antinationalistische Initiativen, Vereine und Projekte erstens zu identifizieren, zu kriminalisieren und damit zu verunsichern. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal der bezirklichen AfD, sondern Teil einer Strategie des Gesamtmilieus, die einerseits das politische Koordinatensystem durch eine Enthemmung und Verrohung der Sprache insgesamt nach rechts rücken soll, und das, was aus ihrer Perspektive als weit links erscheint, als potentiell linksterroristische Gefahr an die Wand malen, auf die sich zu konzentrieren sei.

Zum anderen ist es natürlich Teil der Selbststabilisierung und Stilisierung als Opfer, denn nur mit einem konsistenten Feindbild aus Lügenpresse, Systemlingen, Genderwahn, Gutmenschen, Klimafanatikern, Sorosfans und natürlich Linksextremisten, ist es überhaupt möglich, ohne Drogen den Wahn vom Volkstod durch Homosexualität, Umvolkung und dem Bevölkerungsaustauch, von Raum-und Kulturfremden aufrecht zu erhalten. Dazu gehört, den alten Wein des rechten Autoritarismus ideologisch mit völkischem Kitsch und kubischekschem Ethnopluralismus in neuen Schläuchen zu verkaufen.

Dazu gehört außerdem, den demokratischen Grundkonsens mit Verweis auf degenerative Entwicklungen anzugreifen und zu rufen: Haltet den Dieb, er hat mein Messer im Rücken. Wer das nicht glauben mag, der schlage nach beim jüngsten Werk des Thüringischen Spitzenkandidaten der AfD (…):

Für Höcke sind „die westlichen Werte“ „aufgeblasener Werteschaum“. „Der Parteiengeist muss überwunden, die innere Einheit hergestellt werden“, sagt er. Schluss mit dem „westlich-dekadenten Liberalismus und der ausufernden Parteienherrschaft“! An deren Stelle solle „eine fordernde und fördernde politische Elite, die unsere Volksgeister wieder weckt“, treten.

Er bezweifelt, dass „ein Volk überhaupt in der Lage ist, sich selbst aus dem Sumpf wieder herauszuziehen“. „Es braucht eine starke Persönlichkeit und eine feste Hand (…), um die zentrifugalen Kräfte zu bändigen und zu einer politischen Stoßkraft zu bündeln.“ Und weiter: „Die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, dass wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen.“ Und ergänzt, dass wir bei der von ihm angestrebten Umwälzung „leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind“ mitzumachen.

Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist der Schoß, aus dem auch diese Große Anfrage kroch.

Unser Grundgesetz ist die Konsequenz der Erfahrungen aus Weimarer Republik und Faschismus. Sein Impuls ist daher auch ein antifaschistischer. Die Versuche der AfD, den demokratischen und ich sage daher antifaschistisch-demokratischen Grundkonsens anzugreifen, die Demokraten zu spalten, wird die demokratischen Kräfte, die sie bekämpft, aber letztlich doch nur stärken. Demokraten mögen manchmal schläfrige und allzu tolerante Zeitgenossen sein. Ihr Langmut mag als Gleichmut erscheinen.

Aber ich sage Ihnen: Jeder dieser Angriffe macht die Demokraten nicht schwächer, sondern stärker und entschlossener. Mit ihrer perfiden Spaltungspolitik hat die AfD es immerhin geschafft, 240.000 dieser Menschen zum gemeinsamen Handeln zu animieren. Denn diese Menschen sind gegen diese Ideologie auf die Straße gegangen.

Die Sorge der AfD gilt nicht den vermeintlichen Gefahren des Linksextremismus. Ihre Sorge gilt dem Zerfall einer Welt, in der Rasse, Nation, Geschlecht und Sexualität Kategorien mit Platzverweis waren, einer Welt in der weiße, vorzugsweise deutsche Männer über jede andere menschlicher Existenz Macht ausüben konnte und sei es nur als Deutungsmacht.

Ihre Sorge, ja Ihre Panik, gilt dem Fremden, den selbstbestimmten Frauen, Schwulen und Lesben, den Transmenschen und einer political correctness, deren Zweck es ja nicht ist, wie Sie es dauernd postulieren, Sprechverbote auszurufen, sondern die Sprache zu befreien von allen diskriminierenden, rassistischen und sexistischen Elementen, deren Ziel es ist, Herrschaftssprache aufzulösen und eine freie, klare und genaue Sprache zu etablieren, die die Würde des Einzelnen nicht mehr mit Füßen tritt, niemanden mehr herabwürdigt und als Machtinstrument des einen über die andere nicht mehr verfügbar macht.

Das ist der Sinn politischer Korrektheit. Genauigkeit und Respekt. Und darum bekämpfen Sie sie auch, denn sie wollen Emotionen anheizen und manipulieren. Ihre Sprache soll verschleiern, weil Ihre wahren Absichten äußerst unerfreulich sind für alle, die nicht in Ihre Raster passen und Ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen nicht teilen

Die AfD ist das Problem, von dem Sie ablenken will. Darum inszeniert sie sich stets als Opfer und weist so weit wie möglich von sich weg. Und das ist in Ihrer Sprache „linksgrünversifft“.

Die AfD ist eine Bedrohung für die meisten Menschen in diesem Land, in dieser Stadt und diesem Bezirk. Denn die meisten Menschen wollen frei sein davon, von anderen ihren Platz in der Gesellschaft und auf der Erde zugewiesen zu bekommen. Das aber ist das, was die AfD versucht, einen Volkskörper zu erfinden, einen homogenen ausgerichteten Organismus. Alter Wein in neuen Schläuchen.

Wohin völkisches Denken führt, wohin Nationalismus führt, können wir gegenwärtig gut beobachten. Frauenrechte werden wie in Polen eingeschränkt, Bürgermeister in Italien verhaftet, in Ungarn Genderstudies verboten, Obdachlose kriminalisiert. Die Türkei und Russland sind auch nicht weit weg. Demokratie ist in diesem Denken nur noch ein Mittel zum Zweck, das genau dann aus der Hand gelegt wird, wenn es diesem Zweck nicht mehr dienlich erscheint. Demokratie ist aber kein Mittel. Sie ist der Zweck.

Aber wir haben verstanden. Die AfD ist eine Art Prüfung der Ernsthaftigkeit unserer demokratischen und humanistischen Gesinnung. Wir werden sie bestehen. Und darum werden auch Sie weiter Ihr politisches Gift versprühen dürfen in der freien Luft einer freien Gesellschaft, geschützt vom Grundgesetz.

Aber natürlich wissen wir dennoch, wozu jene, deren Wiedergänger Ihre Partei ist, fähig und bereit waren. Als Hohepriester des Schuldkultes kennen wir die Konsequenzen dieses Denkens. Wir wissen, wie es anfing, wie es sich verbreitete, wie es sich als Rettung und Rache und als Ausweg tarnte, wie es alles, was sich gleichschalten ließ, gleichschaltete, und alles andere ausschaltete und vernichtete. Wir wissen, wie es Sündenböcke erfand und den Hass und Zwietracht säte, wie es an Vorurteile anknüpfte und daraus Profit schlug.

Sie selbst sind als Einzelpersonen vielleicht nicht Teil dieser breiten Strömung Ihrer Partei. Das können wir nicht wissen. Wir messen Sie an ihren politischen Taten. Die weisen allerdings genau in diese Richtung.

In Pankow werden Sie damit nicht weit kommen. Pankow und auch diese BVV lassen sich nicht für dumm verkaufen. Pankow bleibt weltoffen und tolerant, weil Pankow die Freiheit liebt und das gute Leben für alle.“

Christian Hönicke ist Pankower. Wenn Sie Anregungen, Kritik oder Wünsche haben, schreiben Sie ihm einfach eine E-Mail an leute-c.hoenicke@tagesspiegel.de.