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von Christian Hönicke

Veröffentlicht am 25.07.2019

es gibt Zoff um das Jahn-Stadion. Pankow begehrt gegen den vom Senat geplanten Neubau auf – das Bezirksamt fordert sogar eine komplette Neuplanung. Auch Anwohnerinitiativen kritisieren die Unverträglichkeit der geplanten Arena für die angrenzenden Viertel. Sie sehen durch den Bau auch den berühmten Hang im angrenzenden Mauerpark inklusive der Original-Mauer und des Karaoke-Amphitheaters gefährdet (siehe Sport).

Knapp 135 Millionen Euro soll das neue Stadion im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg kosten. Die Betriebserlaubnis der alten Arena wurde gerade noch einmal bis zum 30. Juni 2020 verlängert. Danach soll sie abgerissen werden, ab 2022 soll dann der Neubau entstehen.

Doch das Bezirksamt tritt auf die Bremse. Durch das neue Stadion seien „enorme Auswirkungen“ auf das Umfeld zu befürchten, sagt Pankows Baustadtrat Vollrad Kuhn (B‘90/Grüne) auf Anfrage. „Wir brauchen für dieses komplexe Vorhaben mit Schnittstellen zum Mauerpark einen integrierten Bebauungsplan inklusive Mobilitätskonzept und Verkehrsgutachten.“

Das forderte der Bezirk laut Kuhn auch Anfang des Jahres in einem großen Planungstreffen. Dabei waren die Senatsverwaltung für Inneres und Sport als Eigentümerin des Sportparks und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, die den Neubau durchführen soll. Letztere sah einen Gesamt-Bebauungsplan laut Kuhn ebenfalls als notwendig an. „Doch die Senatsverwaltung für Inneres und Sport steht offenbar jetzt so unter Zeitdruck, dass sie die fachliche Meinung der Stadtentwicklungsverwaltung dazu nicht teilt“, sagt Kuhn.

Der Hintergrund: Im neuen Stadion sollen bei den Special Olympics 2023 für geistig behinderte Sportler die Leichtathletikwettbewerbe stattfinden. Das wird äußerst knapp, deswegen drückt die Sportverwaltung massiv aufs Tempo. Sie verringerte etwa die angedachte Stadiongröße wieder von 30.000 auf 20.000 – um den Stadionneubau als einfachen „Ersatzbau“ einstufen zu können, da das alte Stadion ebenfalls diese Kapazität hat.

Mit diesem Trick will man sich das Aufstellen eines Bebauungsplans samt Verkehrsgutachten sparen, was Jahre dauern würde. Sportstaatssekretär Aleksander Dzembritzki hält solche Gutachten folglich nicht für notwendig. Auf eine schriftliche Anfrage des Linken-Politikers Michail Nelken hin erklärte er, ein Bebauungsplanverfahren samt Bürgerbeteiligung soll es zwar für das Restareal des Sportparks geben – nicht jedoch für das Stadion: „Städtebaulich wird eingeschätzt, dass es keine Konflikte geben kann, da die bestehenden Parameter des Stadions auch beim Neubau grundsätzlich eingehalten werden.“

Das sieht man in Pankow ganz anders. Neben dem Bezirksamt fordern auch Nelken, der nebenbei 2. Vorsitzender von „Gleimviertel e.V.“ ist, und Alexander Puell von den „Freunden des Mauerparks“, einen ordentlichen Bebauungsplan – und zwar für das Gesamtgebiet. Nelken kritisiert, dass der Stadionbau aus dem Gesamtvorhaben Jahn-Sportpark herausgelöst und singulär geplant wird – der ganze Sportpark soll zum „Inklusionssportpark“ umgestaltet werden. Auch die Umgestaltung des Mauerparks, der am Wochenende bis zu 40.000 Besucher anlockt, sei dabei komplett außen vor gelassen worden, so Nelken: „Das sind alles Großveranstaltungsorte, da braucht man ein integriertes Bebauungsplanverfahren. Wenn man so große Projekte mitten in der Stadt angeht, muss man sie zusammen denken.“

Für das Stadion sei sowieso noch nie ein richtiges Planverfahren durchgeführt worden, auch zu DDR-Zeiten nicht. „Und das neue Stadion hat noch einmal eine ganz neue Qualität“, sagt Nelken. Das sieht auch Puell vom Verein „Freunde des Mauerparks“ so: „In der Praxis wird aus einem beinahe ungenutzten Stadion in Innenstadtlage plötzlich ein Veranstaltungsort, der regelmäßig 20.000 Besucher anzieht.“ Das Label „Inklusion“ werde dabei nur „als Deckmäntelchen für eine Kommerzialisierung“ genutzt: „Das Stadion würde vermutlich wie die Schmelinghalle gewinnorientiert durch Velomax betrieben, und es wäre vorbei mit dem Dornröschenschlaf.“ Es drohten stattdessen regelmäßig Großevents: „Gerade in dieser dichten Innenstadtlage wird das die Situation dramatisch verändern.“

Ein belastbares Verkehrskonzept sei daher dringend notwendig. „Darauf hat man schon bei der Schmelinghalle verzichtet“, kritisiert Nelken. Die Folge sei ständiges Verkehrschaos in der Umgebung bei Veranstaltungen. Auch Puell kennt das als Anwohner nur zu gut: „Kein Rein- oder Rauskommen mehr ins Viertel, ein mit Besucher-Autos vollgestellter Kiez, Straßen, Gehwege, Rettungswege und Einfahrten werden blockiert.“

Das werde künftig noch schlimmer werden, glaubt auch Nelken. Zumal die Arena, in der derzeit der Regionalligist BFC Dynamo vor wenigen Fans spielt, künftig sogar zweitligafußballtauglich sein soll. „Aber bei Profifußballspielen müssen Fangruppen getrennt werden können, dafür braucht man ein Wegekonzept für das gesamte Gebiet.“

Kritik kommt auch vom SPD-Abgeordneten und -Sportexperten Dennis Buchner: „Es gibt deswegen in der Tat Zoff zwischen dem Parlament und der Sportverwaltung.“ Der Stadionbau sei in der Machbarkeitsstudie von 2014 vorgesehen gewesen. Seither hätten sich die Voraussetzungen aber komplett geändert. „Für den Breitensport in Pankow und dem Leistungssport ist wesentlich bedeutender, dass die Sporthallen auf dem Gelände entstehen.“

Es sei komplett ausreichend, die marode Haupttribüne des Stadions zu erneuern. Nach der Entscheidung für die Laufbahn im Olympiastadion spreche auch  nichts mehr für einen kompletten Neubau. „Doch die Verwaltung blockt jeden Versuch, den Masterplan von 2014 zu verändern, mit Händen und Füßen ab. Stattdessen hören wir wochenweise neue Argumente, warum das angeblich nicht gehen soll. Nach Buchners Eindruck wird zudem „nur noch pro forma am Ziel Special Olympics festgehalten. Jeder weiß, dass das nicht zu schaffen ist.“

Ein weiterer Streitpunkt: Die Stadionpläne des Senats kollidieren mit den Plänen zur Umgestaltung des Mauerparks. Die hat das Bezirksamt Pankow in Auftrag gegeben, und sie betreffen auch die Topsstraße südlich und die Gaudystraße nördlich des Sportparks. An der Topsstraße sollen nach dem Willen des Bezirks die Autoparkplätze verschwinden und stattdessen Radstellplätze errichtet werden. Die Sportverwaltung hält dagegen wegen des Stadions ein Autoparkhaus für notwendig – es soll an der Tram-Wendeschleife Eberswalder Straße entstehen. Auch dagegen sperrt sich der Bezirk, dem die Fläche zu Teilen gehört. „Wir wollen, dass dort unter anderem der neue Knaack-Club gebaut wird“, sagt Kuhn.

Zudem sei die Zugänglichkeit des gesamten Areals bedroht, so Nelken. Man habe einst in einer jahrelangen Auseinandersetzung die Öffnung des Sportparks für die Allgemeinheit erstritten, genauso wie die Nord-Süd-Querung des Geländes von Gaudy- bis Topsstraße. Zähneknirschend erlaubte es die Sportverwaltung schließlich, dass etwa Jogger die Laufbahn des kleinen Sportplatzes nutzen durften. Nelken fürchtet nun, dass die geplanten teuren Anlagen wie das Stadion oder der Sporthallenturm Bestrebungen wecken, das Gelände abzuriegeln: „Es ist naheliegend, zu sagen: Alles so schön neu, das schließen wir lieber alles ab.“ Ein Vorbote sei das neue überdachte Basketballfeld, das nur temporär zugänglich sei.

Der Sportpark müsse jedoch ein Sportpark für die Bevölkerung bleiben. „Die Durchlässigkeit muss erhalten bleiben“, fordert Nelken. „Und wir brauchen eine gesunde Mischung aus Vereins- und Freizeitsport.“ Mit Sorge sieht er die Expansionspläne der Berliner Proficlubs: „Wenn Alba und die Füchse ihre Geschäftsstellen und Trainingszentren hier einrichten, ist das ja okay. Nur dürfte das nicht dazu führen, dass die öffentliche Allgemeinnutzung des Sportparks eingeschränkt wird.“ Auch Nicht-Vereinssportler müssten im Jahn-Sportpark weiter Sport treiben können: „Sonst brächte die Neugestaltung keinen Mehrwert für den Bezirk.“

Christian Hönicke ist Pankower. Wenn Sie Anregungen, Kritik oder Wünsche haben, schreiben Sie ihm einfach eine E-Mail an leute-c.hoenicke@tagesspiegel.de.