Intro

von Christian Hönicke

Veröffentlicht am 23.01.2020

Pankow gedenkt der Holocaust-Opfer. Vor 75 Jahren wurde das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz durch sowjetische Truppen befreit. Am kommenden Montag, den 27. Januar, finden daher berlinweit Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Nationalsozialismus statt. Auch in unserem Bezirk: Um 18 Uhr wird es dann eine „Pankower Lichterkette“ geben – Startpunkt ist das ehemalige Jüdische Waisenhaus in der Berliner Straße 120/121 nahe des Garbatyplatzes. Um 18.45 erfolgt die anschließende Andacht in der Alten Pfarrkirche in der Breiten Straße.

Die Lichterkette zur Erinnerung an die Auschwitz-Befreiung gibt es schon seit 1999. Am Montagabend wird nicht nur Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) eine Rede halten, sondern auch der Holocaust-Überlebende Kurt Hillmann. Danach findet eine Schweigeminute auf der Kreuzung Berliner Straße/Breite Straße statt. Seit dem 9. November hängen am ehemaligen Jüdischen Waisenhaus erneut Tafeln mit den Namen der jüdischen Pankowerinnen und Pankowern, die dem antisemitischen Morden der Nationalsozialisten zum Opfer fielen.

Das Waisenhaus ist bei weitem nicht der einzige Ort im Bezirk, der an die Verbrechen im Dritten Reich erinnert. Wir hatten Sie aufgerufen, uns vor allem weniger bekannte Gedenkorte zu nennen. Stefan Paprotka fiel das ehemalige Jüdische Kinderheim in der Wilhelm-Wolff-Straße 36 in Niederschönhausen ein. Dort erinnert eine Gedenktafel daran, dass die etwa 150 jüdischen Kinder 1942 durch die SS verschleppt und ermordet wurden. Heute beherbergt das Haus ein Kinderhospiz der Björn-Schulz-Stiftung.

Die mindestens zwei Zwangsarbeiterlager im Bezirk rief uns Agnes Dieckmann in Erinnerung. Über beide hatte der Tagesspiegel bereits hier berichtet. In der Schönholzer Heide war eines – übrig geblieben davon sind Bunker, die zum Lager gehörten, und ein kleiner eingezäunter Friedhof für Lagerinsassen. Und in Blankenfelde gab es ein sogenanntes Krankensammellager für „arbeitsunfähige Ostarbeiter“ – zwischen der Bahnhofstraße nach Lübars und dem Bernauer Heerweg.

Auf die unrühmliche Rolle des Klinikstandorts Buch zur Nazizeit macht uns Michael Kowarsch noch einmal aufmerksam. Mein Kollege Fabian Schmidinger hatte dazu auch Rosemarie Pumb interviewt, die seit Jahrzehnten die NS-Geschichte in Buch erforscht (hier lesen). Seit 2016 erinnert in der Grundschule Am Sandhaus eine Gedenktafel daran, dass es in Buch mindestens zehn Wohn- und Arbeitsstätten für Zwangsarbeiter gab. In der Turnhalle der heutigen Grundschule lebten etwa 90 Zwangsarbeiter, die aus der Ukraine nach Deutschland verschleppt worden waren.

In Niederschönhausen gibt es seit 2015 den Selma-und-Paul-Latte-Platz samt dazugehöriger Gedenkstele. Das ist dem privaten Engagement von Gudrun Schottmann und Christof Kurz zu Verdanken. Sie waren 2001 in ein Haus gezogen, das einst dem jüdischen Paar gehört hatte, und fingen an, sich für die Vorbesitzer zu interessieren. Selma und Paul Latte lebten ab 1920 in der Buchholzer Straße 23–31 in Niederschönhausen und betrieben auf dem dortigen großen Gelände eine Flaschengroßhandlung. Ende 1938 wurden sie enteignet und mussten nach Hermsdorf in ein sogenanntes Judenhaus ziehen. 1943 wurden sie nach Theresienstadt deportiert und starben nach kurzer Zeit an den unmenschlichen Lebensbedingungen. 2014 beantragten Schottmann und Kurz beim Bezirksamt, den kleinen Platz neben dem ehemaligen Gelände der Flaschenfabrik (Charlottenstraße/Beuthstraße) nach dem ermordeten Ehepaar zu benennen. Die Hälfte der Kosten brachten sie selbst mithilfe von privaten Spendern auf.

Unweit des berühmten Jüdischen Friedhofs in Weißensee, am Ende der Smetanastraße/Ecke Chopinstraße, gab es die jüdische Arbeiterkolonie, schreibt uns Anna Sonntag: „Seit Anfang der 1920er Jahre wurden die Gebäude als „Dauerheim für jüdische Schwachsinnige“ von der jüdischen Gemeinde genutzt. Diese musste das Grundstück 1935 zwangsverkaufen. Die Bewohner wurden ab 1942 nach Trawniki in Ostpolen deportiert und umgebracht. In der DDR diente das Gebäude als Verwaltungsgebäude. 1980 wurde auf dem Grundstück eine Stele von Josef Höhn mit Inschrift aufgestellt, die an die letzten 180 Bewohner und ihr Schicksal erinnert. Die Gebäude sind mittlerweile renoviert und in eine Eigentumsanlage umgewandelt. Die Stele steht heute leider so, dass man sie von der Straße aus kaum sieht und die Inschrift nicht lesen kann, es sei denn, man fragt, ob man auf das Grundstück darf. Das finde ich schade.“ – Text: Christian Hönicke 

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Christian Hönicke ist Pankower. Wenn Sie Anregungen, Kritik oder Wünsche haben, schreiben Sie ihm einfach eine E-Mail an leute-c.hoenicke@tagesspiegel.de.