Intro

von Christian Hönicke

Veröffentlicht am 11.06.2020

wie viel Rassismus gibt es in Pankow? Derzeit demonstrieren weltweit Menschen unter dem Motto „Black Lives Matter“, am vergangenen Wochenende waren trotz der Pandemie 15.000 Menschen auf dem Alexanderplatz. Doch Rassismus existiert nicht nur in den USA. In Berlin sei etwa „Racial Profiling“ durch die Polizei ebenfalls an der Tagesordnung, sagt Karen Taylor vom Verein „Each One Teach One“.

Auch im normalen Alltag, auch in Pankow, sehen sich nicht-weiße Menschen immer wieder mit rassistischen Bemerkungen, Beleidigungen oder Angriffen konfrontiert. Wir hatten anlässlich der Aussagen von Jérôme Boateng schon vor einiger Zeit darüber berichtet. Der Fußball-Weltmeister hatte sich Ende 2018 darüber beklagt, in seiner Kindheit und Jugend bei Spielen im Osten Berlins beleidigt und bepöbelt worden zu sein.

Es gebe für Schwarze „No-Go-Areas“, so Boateng – als Beispiele nannte er Marzahn und Weißensee: „Mit anderer Hautfarbe hast du da immer etwas zu befürchten.“ Bei einem Pokalspiel habe der Vater eines Gegenspielers ihn „die ganze Zeit beleidigt und seinem Sohn zugerufen: ‚Mach den fertig, den Scheiß-Nigger‘. Irgendwann hab ich angefangen zu heulen.“

Wir hatten damals jede Menge Reaktionen aus dem Bezirk bekommen. Unter anderem von Bürgermeister Sören Benn (Linke) und der Weißenseerin Clara West (SPD), die Rassismus speziell im Nordosten Berlins zwar einräumten, aber eine „pauschale Kritik“ oder Bezeichnungen wie „No-Go-Areas“ zurückwiesen.

Heute sieht Benn das noch ein wenig differenzierter. Rassismus sei „auch in Pankow eine Alltagserfahrung nichtweißer Menschen“, schreibt er uns. Dies liege jedoch „in der Regel im toten Winkel unserer weißen Aufmerksamkeit“. Rassismus sei unter weißen Menschen generell „nur schwer thematisierbar, weil die wenigsten von uns ein rassistisches Selbstbild von sich haben“. Doch er müsse sich eingestehen, dass das zumindest bei ihm eben doch zutreffe: „Mir hilft es, anzuerkennen, dass ich selbst rassistisch sozialisiert bin.“

Er sei zwar „nicht absichtsvoll rassistisch“, so Benn, „aber doch mit einer Unzahl von Stereotypen groß geworden, die in ihrer Wirkung ein rassistisches Abbild der Welt in mir bewirken, in die ich dann so zurückhandle. Das vollzieht sich weit überwiegend auf vorbewusster Ebene. Es geht um mehr als nur Schwingungen.

Solange wir verleugnen, dass Rassismus bisher über Jahrhunderte Teil jeder einzelnen weißen Identität war und ist und nicht individuell einfach abgewählt werden kann, kommen wir nicht viel weiter als bis zum nächsten Generalverdacht, unter den wir uns gestellt sehen. Hier ist ein Teil der Aufklärung, auf die wir so stolz sind, erst noch zu leisten.“

Auf die Frage, was er oder das Bezirksamt denn in dieser Frage konkret tun könnten, erklärt Benn, man werde eine „AG Rassismus“ einrichten (die ist schon länger geplant). Diese wiederum solle „eine Strategie gegen Alltagsrassismus im öffentlichen Raum entwickeln“, um per Handlungsempfehlungen „den bisher oft hilflosen und dadurch auch beschämten Zeugen solcher Vorfälle“ solidarisches Handeln zu ermöglichen

In der Bezirksverwaltung selbst „stellen wir uns gerade einem Prozess für ein diskriminierungsarmes Arbeitsumfeld“, erklärt Benn. Dabei sollen die „Diversitykompetenz“ erhöht und die Mitarbeitenden sensibilisiert werden.

Auch LeserInnen hatten sich 2018 gemeldet, um Ihre Sicht auf Boatengs Worte darzustellen. „Aber ja werden Menschen, die eine andere Hautfarbe haben, in Pankow diskriminiert, genauso wie in anderen Bereichen unserer Gesellschaft“, schrieb etwa Eva G. „Das ist für Menschen, die weiß sind, nicht so spürbar, wie Bürgermeister Sören Benn treffend bemerkt. Meine Bekannte wurde kürzlich einfach von einem Kellner geduzt, im Gegensatz zu mir. Ich bin weiß, sie afrodeutsch. Es sind wahrscheinlich die feinen Unterschiede, von denen Herr Boateng ein Lied singen kann und die einfach sehr verletzen. Da müssen wir noch viel lernen.“

Seither müssen wir jedoch immer wieder von rassistischen Übergriffen in Pankow berichten. Die Opferberatungsstelle „Reach Out“ zählte im Jahr 2018 im Bezirk insgesamt 234 Vorfälle, „denen das Motiv Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (Rassismus, Antisemitismus, LGBTIQ*-Feindlichkeit, etc.) und/oder eine rechtspopulistische, rechtsextreme bis neonazistische Einstellung zu Grunde lagen“.

Hier die aktuellsten Rassismus-Vorfälle in Pankow, die auf der „Reach Out“-Website gesammelt wurden: Zwei Kinder rassistisch beleidigt und geschlagen in Prenzlauer Berg (28. Mai). Rassistische Beleidigung in Weißensee (28. Mai), Rassistische Schmiererei in Prenzlauer Berg (25. Mai), Rassistische Beleidigung in Karow (19. Mai), Rassistische Beleidigung in Niederschönhausen (9. Mai), Hitlergruß in Buch (8. Mai), Rassistische- und antisemitische Äußerungen in Prenzlauer Berg (4. Mai), Rassistische Schmiererei in Weißensee (4. Mai), Rassistische Aufkleber in Prenzlauer Berg (30. April), Rassistischer Angriff in Heinersdorf (15. April), Angestoßen und rassistisch beleidigt in Prenzlauer Berg (9. April), Antisemitische Pöbelei in Prenzlauer Berg (8. März), Rassistische Verfolgungsjagd in Buch (6. März).

Und wie geht es Ihnen? Haben Sie wegen Ihrer Hautfarbe dumme Sprüche,  Beleidigungen oder Angriffe in Pankow erlebt? Oder erinnern Sie sich an Momente, in denen sich Mitmenschen entschieden gegen Rassismus ausgesprochen haben? Schreiben Sie mir doch Ihre Erfahrungen auf, ich würde Sie gern im kommenden Newsletter veröffentlichen. – Text: Christian Hönicke

+++ Diesen Text haben wir dem neuen Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Pankow entnommen. Den gibt es in voller Länge und kostenlos hier: leute.tagesspiegel.de

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