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von Christian Hönicke
Veröffentlicht am 13.01.2022
Nachverdichtungs-Stopp für Pankow und ganz Ost-Berlin: Das fordert das Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung. Es kritisiert die derzeitige Lückenschlusspraxis im Ostteil der Stadt als illegitim und fordert Senat und Abgeordnete auf, die Rechtslage zu prüfen. Da Berlins Bausenator Andreas Geisel (SPD) offenbar die Prüfung der Rechtsfragen „umgehen“ wolle (siehe unser Artikel hier), „fordern wir das Abgeordnetenhaus von Berlin auf, die Initiative zu ergreifen“, teilte das Bündnis in einer Stellungnahme mit.
Das Bündnis hat derzeit 27 Mitgliedsinitiativen, in denen sich Anwohner gegen die geplante Nachverdichtung ihrer Wohnviertel organisieren. „Von diesen sind 20 von der zerstörerischen Nachverdichtung ihrer zur Wohnanlage mitgeplanten und mitgebauten grünen Sozialflächen mit Bäumen und Spielplätzen betroffen“, so das Bündnis. „Von diesen 20 Initiativen sind 16 im Ostteil der Stadt angesiedelt.“
Es sei ein „Skandal“, dass ganz Ost-Berlin nach Auffassung der Behörden „als planlose Baulücke“ gelte, erklärte das Bündnis weiter. Hintergrund ist eine Rechtslücke aus dem Vereinigungsjahr 1990, die dazu führte, dass bis heute unterschiedliches Bauplanungsrecht in Ost- und West-Berlin ausgeübt wird. Während im Westteil der Stadt in der Regel bestehende Bebauungspläne fortgelten, werden sie seither im Ostteil ignoriert. Stattdessen wird großflächig der „Lückenschluss“-Paragraf 34 angewendet, der Neubauten ohne detaillierte planerische Vorgaben, Bürgerbeteiligung oder Widerspruchsmöglichkeiten zulässt.
Dies hatte auch die Bürgerinitiative Vesaliuskiez in Pankow beanstandet und eine Veränderungssperre für alle von Nachverdichtung betroffenen Kieze und umfassende Rechtsprüfung von Geisel gefordert. Der Senator jedoch lehnt dies ab. Das Bezirksamt Pankow räumt dagegen die ungleiche Rechtslage in den beiden Teilen der Hauptstadt ein und will künftig selbst mehr Bebauungspläne auch bei kleineren Vorhaben aufstellen.
„Haben Bürger im Osten Berlins weniger Rechte?“, fragt das Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung nun in seiner Stellungnahme – und fordert, Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) solle „die Kapazität ihrer Senatsverwaltung in die verfassungs- und bauplanungsrechtliche Prüfung der Rechtslage“ einbringen. „Von der grünen Umweltsenatorin Bettina Jarasch fordern wir, dass ihre Behörde als Obere Naturschutzbehörde die Unteren Naturschutzbehörden in den Bezirksämtern anweist, vorläufig keine Ausnahmegenehmigungen vom Baum- und Artenschutz zu erteilen und bereits erteilte Entscheidungen auszusetzen.“ Denn jede Baumfällgenehmigung sei rechtswidrig, „die sich auf die falsche planungsrechtliche Stellungnahme des Fachbereiches Stadtplanung bezieht, es wären die Areale nach Paragraf 34 BauGB bebaubar“.
Diese Auffassung vertritt auch die Historikerin und Rechtsexpertin Susanne Willems. Im folgenden Interview erklärt sie, warum die derzeitige Nachverdichtungspraxis diesseits der alten Mauerlinie rechtswidrig sein soll und dringend geändert werden müsse.
- Christian Hönicke ist Pankower. Wenn Sie Anregungen, Kritik oder Wünsche haben, schreiben Sie ihm einfach eine E-Mail an leute-c.hoenicke@tagesspiegel.de.