Kiezkamera
Veröffentlicht am 02.04.2020 von Christian Hönicke

Großes Stück Berliner Mauer für Neubau abgerissen. Quasi über Nacht ist ein großes Stück Berliner Mauer abgerissen worden. Gut 60 Meter in Pankow sind seit wenigen Tagen verschwunden, an der Ecke Dolomitenstraße Ecke Maximilianstraße. Sie waren Teil der originalen Hinterlandmauer der DDR, die dort ursprünglich mehrere hundert Meter entlang der Bahnstrecke Berlin-Stettin verlief. Die Mauer stand mitsamt alter Autogaragen auf einem Grundstück am Bahndamm, das inzwischen komplett abgeräumt wurde. Es gehört einer Genossenschaft, die hier den Bau neuer Wohnungen plant.
Historiker kritisieren den Abriss. Die Stiftung Berliner Mauer sei darüber nicht informiert worden, erklärt Stiftungskurator Manfred Wichmann: „Der Teilabriss des durchgängigen Stücks Hinterlandmauer an der Dolomitenstraße ist ein deutlicher Verlust originaler Mauerreste.“ (Den ganzen Artikel zum Abriss können Sie hier lesen.)
Bleibt die Frage: Wie kam es zu dem Abriss? Das Landesdenkmalamt antwortete auf eine Anfrage, warum man ihn nicht verhindern konnte, bis Redaktionsschluss nicht. Die Genossenschaft wollte nicht öffentlich zitiert werden. Sie verwies auf eine gültige Baugenehmigung, die Bedeutung des Mauerstücks sei ihr nicht bewusst gewesen. Auch das bezirkliche Bauamt zuckt mit den Schultern. „Der Abriss der Mauer ist bauaufsichtlich verfahrensfrei“, sagt Baustadtrat Vollrad Kuhn (B’90/Grüne). Das Stück an der Dolomitenstraße stand wie fast alle Mauerreste abseits des Stadtzentrums nicht unter Denkmalschutz. Kuhn: „Durch die Denkmalbehörden ist damals kein Schutzstatus festgelegt worden, die Stiftung hatte sich offenbar auch zu spät für einen Erhalt stark gemacht.“
Das sieht Wichmann anders. Er hatte just jenes Teilstück gemeinsam mit dem Historiker Sören Marotz vom DDR-Museum noch im vergangenen Herbst zum 30. Jahrestags des Mauerfalls der Öffentlichkeit vorgestellt und dessen Bedeutung betont. Weitere Möglichkeiten habe die Stiftung Berliner Mauer nicht gehabt: „Da das Stück Hinterlandmauer nicht auf der Denkmalliste stand, sondern nur in der wissenschaftlichen Dokumentation erfasst war, konnte dort auch kein Einspruch erhoben werden.“
Der Historiker kontert dennoch Meinungen, das Mauerstück sei nicht wertvoll gewesen, weil es sich eben nur um die Hinterlandmauer gehandelt habe. Der westlichste Wall stand zwar in der Tat 500 Meter weiter Richtung Wedding. „Aber es gibt gar nicht ‚die Mauer'“, so Wichmann. „Der Grenzstreifen mit der Grenzmauer nach Westen, im Innenstadtbereich ab den 1980er Jahren meist die Grenzmauer 75, und der Hinterlandmauer war nur der vorderste, nicht betretbare und von Westen aus meist der einzige einsehbare Teil der Berliner Mauer.“
Deswegen werde die Berliner Mauer zu oft nur mit der Grenzmauer nach Westen gleichgesetzt. Wichmann: „Die Absicherung der Grenze nach Osten hin war aber viel weitläufiger, dazu gehörten das Grenzgebiet, das unter ständiger Kontrolle durch die Staatsorgane lag und ohne Erlaubnis nicht betreten werden durfte, und als Sperranlagen alle möglichen Elemente der Vorfeldsicherung.“
Die Dolomitenstraße sei ein klassisches Beispiel dafür gewesen. Die dortige Hinterlandmauer gehöre genauso zum „Grenzregime“ und zur „Berliner Mauer“ wie die bemalten Betonelemente, die von der Westseite millionenfach fotografiert wurden und deshalb heute das Synonym für die Berliner Mauer seien. „Spuren der Vorfeldsicherung sind oftmals sehr unscheinbar und wenig bekannt, meist unspektakulär, deshalb ist es doppelt schade, dass dieses sehr große Element der Vorfeldsicherung nun verschwunden ist.“
Wenigstes die Restbestände sollen nun erhalten werden. Fünf Mauerelemente in der Dolomitenstraße stehen noch, sie befinden sich auf einem Grundstück, das der Deutschen Bahn gehört. Sie könnten nun unter Denkmalschutz gestellt werden. Die abgerissenen Mauerteile dagegen sind inzwischen zertrümmert und auf dem Müll gelandet. / Foto: Oliver Voss / Text: Christian Hönicke
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