Kiezkamera

Veröffentlicht am 26.11.2020 von Christian Hönicke

„Ich habe Angst, dass nur die großen Ketten bleiben“: Wie die Pandemie Berlins kleine Geschäfte bedroht. Aus für die Zuckerfee – das kleine Frühstückscafé in der Greifenhagener Straße in Prenzlauer Berg muss schließen. Ist das nur ein Vorbote für die Welle an kleinen Geschäften, die durch die Pandemie dahingerafft werden? Wir haben darüber mit den beiden Schwestern und Zuckerfee-Betreiberinnen Kyra Gass (auf dem Foto links) und Lisa Bruder (rechts) gesprochen.

Frau Bruder, Frau Gass, wann kam Ihnen das erste Mal der Gedanke: Unser Geschäftsmodell wird in der aktuellen Pandemie-Lage schwierig?
Gass: Das war uns sofort klar – schon im März, als der erste Lockdown kam.
Bruder: Wir mussten uns wie alle Cafés neu aufstellen. Wir haben das Konzept To-Go-Verkauf probiert. Aber das funktionierte bei uns nicht, weil wir in einer Seitenstraße ohne viel Laufkundschaft waren und auf Frühstück spezialisiert sind.
Gass: Die meisten Lieferdienste fangen erst um 11, 11.30 Uhr mit der Auslieferung an. Das ist für Frühstück schwierig.

Wie hart hat Sie der erste Lockdown getroffen?
Bruder: Er hat uns vor allem an unsere persönlichen Grenzen gebracht. Wir sind ein inhaberinnengeführtes Café, beide Mütter. Wir haben Kita-Kinder und Schulkinder. Gerade als die Einrichtungen geschlossen waren, haben wir uns gefragt, wie lange wir das durchhalten können.
Gass: Danach haben wir versucht, mit unseren Mitteln so gut es geht weiterzumachen und Familie und Beruf zu vereinbaren.
Bruder: Nach dem ersten Lockdown haben wir dann nur noch Freitag bis Sonntag geöffnet. Die Stammkunden waren beglückt, aber das reicht natürlich nicht, um die Kosten einzuspielen. [Der Text stammt aus dem aktuellen Pankow-Newsletter. Den können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Wie hoch waren die Einbußen danach?
Gass:
70 Prozent auf jeden Fall. Damit kriegt man die Fixkosten wie die Ladenmiete nicht dauerhaft gedeckt.
Bruder: Wir haben das Café nur wieder aufgemacht, um wenigstens einen Teil der Kosten decken zu können. Aber da bleibt dann für einen selbst nichts mehr übrig.

Haben Sie Corona-Hilfen beantragt?
Gass:
Wir haben die Soforthilfe gekriegt, das hat die Fixkosten der ersten drei Monate gedeckt. Wir hatten unsere MitarbeiterInnen auf Corona-Kurzarbeitergeld, bis sie dann gegangen sind oder wie die letzten kündigen mussten. Und wir haben die Überbrückungshilfe 1 teilweise erhalten.
Bruder: Das hat uns definitiv geholfen. Da sind wir auch dankbar dafür, dass wir in diesem Land leben, dass uns ein bisschen aufgefangen hat. Sonst hätten wir sofort zumachen müssen.

Sie schimpfen nicht auf den Staat und die Corona-Regeln?
Bruder: Nein. Solo-Selbstständige und Kulturschaffende hatten es sicher viel schwieriger als wir. Wenn man etwas bemängeln wollte, dann dass ein Langfristkonzept in der Politik fehlt. Es ist und war ja absehbar, dass sich das eben nicht schnell wieder fügt, sondern noch lange Zeit ein Problem sein wird.
Gass: Die Regeln sind ja nachvollziehbar. Aber so lässt sich das Café eben nicht rentabel führen.
Bruder: Unser Problem ist, dass wir ein kleiner Laden sind. 50 Quadratmeter mit eineinhalb Metern Abstand, da passen nicht viele rein.
Gass: Und die Regeln werden uns bestimmt noch bis zum Frühjahr, vielleicht sogar bis zum Sommer erhalten bleiben. Deswegen kam letztlich unser Entschluss zustande.

War der November-Lockdown der endgültige Todesstoß für Ihr Café?
Gass: Er hat das Aus beschleunigt. Wir waren darauf eingestellt, dass uns ein weiterer Lockdown kommen wird, wenn die Zahlen wieder hochgehen. Aber im Grunde war schon vorher klar, dass es für uns nicht weitergehen würde.

Wie halten es andere Gastronomen, die Sie kennen?
Bruder: Viele fahren die Überlebensstrategie, die wollen irgendwie durch die Pandemie kommen. Das finde ich bewundernswert. Viele haben aber auch andere Möglichkeiten, etwa beim Außer-Haus-Verkauf, oder sind an besseren, belebteren Standorten. Manche können vielleicht auch andere Rücklagen nutzen. Ich habe von vielen gehört, dass sie den Lockdown für Renovierungsarbeiten oder Umbauten nutzen.

Ihr Café war ein Kleinod der bunten Kiezkultur, die Berlin ausmacht. Wird es ein Massensterben geben, bei dem es kleine Läden wie die Zuckerfee als erstes erwischt?
Bruder:
Ich habe davor sehr große Angst. Dass alles Individuelle verloren geht und dann nur noch die großen Ketten bleiben. Wir haben gemerkt, wie wichtig den Menschen solche kleinen Geschäfte sind. Wir haben eine unfassbare Resonanz erhalten auf unser Aus, das hat uns zu Tränen gerührt. Man hat uns als Kiezoase gesehen. Es wäre unfassbar traurig, wenn viele andere kleine Läden auch dichtmachen müssten. Ich kann es mir leider vorstellen, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

Sie veranstalten nun einen Ausverkauf im Dezember.
Bruder:
Ja, wir verkaufen wirklich alles, weil wir den Laden leerräumen müssen. Wir machen eine Art Hauströdel an drei Terminen vor Ort, backen nochmal leckeren Kuchen und servieren Kaffee. Die großen Sachen wie Lüftung, Gasherd und Kühlschränke verkaufen wir auch über Ebay-Kleinanzeigen.

Ist das Thema Gastronomie für Sie durch Corona nun vorbei?
Gass: Nein, das nicht. Wir sind beide Zeit unseres Lebens in der Gastronomie tätig gewesen. Ich hoffe, dass die Pandemie irgendwann vorbei ist und es da auch wieder eine Zukunft gibt.
Bruder: Auch mit Corona ist Gastronomie prinzipiell möglich. Es machen ja auch weiterhin Läden auf, die meisten setzen erstmal auf Lieferung. Man braucht ein gutes Konzept und darf nicht erwarten, sofort den Durchbruch zu schaffen. / Foto: privat

Der erwähnte Abschieds-Ausverkauf wird übrigens an den Wochenenden 28./29. November, 5./6. Dezember und 12./13. Dezember durchgeführt. Mehr Infos gibt es auf der Website des Cafés. – Text: Christian Hönicke

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