Kultur

Bezirksamt lässt historische Gräber in Französisch Buchholz abreißen

Veröffentlicht am 26.11.2020 von Christian Hönicke

Am Montag, einen Tag nach dem Totensonntag, rollten auf dem Friedhof IX die Bagger an. Sie rissen Teile der Friedhofsmauer ein – und zerstörten dabei auch historische Erbbegräbnisstätten der Gründerfamilien von Französisch Buchholz. Als „Frevel“ bezeichnet das Anne Schäfer-Junker. Sie nahm am Dienstag mit 30 anderen BuchholzerInnen an einer Mahnwache mit Kerzen teil, gegen den „Abriss der Gräber und Erbbegräbnisse und die Vernichtung ihrer Zeugen der Ortsgeschichte“. [Der Text stammt aus dem aktuellen Pankow-Newsletter. Den können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Der Friedhof wurde 1871 von der Buchholzer Gemeinde errichtet. Darauf befinden sich unter anderem Gräber der hugenottischen Familien, die Buchholz geprägt haben: Chartron, Guyot, Matthieu. Diese sollen laut Schäfer-Junker „auf Geheiß des Bezirksamtes Pankow Umbaumaßnahmen zum Opfer fallen“.

Für die Umbaumaßnahmen ist das Straßen- und Grünflächenamt zuständig. Laut Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) muss die Friedhofsmauer erneuert werden: „Sicherungsmaßnahmen, die vorgenommen wurden, nachdem herabfallende Teile beobachtet wurden, waren nicht mehr ausreichend.“ Ohne unverzügliches Eingreifen hätte demnach die angrenzende Mühlenstraße gesperrt werden müssen.

Das Problem: Einige besonders prächtige Familien- und Erbgräber stehen direkt an der Friedhofsmauer und sollen ebenfalls abgetragen werden. Dagegen richtet sich der Zorn der Anwohner, die einen Verstoß gegen den Denkmalschutz sehen. „Die Friedhofsmauer mit den Familien- bzw. Erbbegräbnisplatten ist nicht Bestandteil der Denkmalliste“, erwidert Kuhn. Denkmalgeschützt sei lediglich die Kapelle.

Am Dienstag befasste sich auch der Stadtentwicklungsausschuss der BVV mit dem Drama. „Niemand wurde vom Bezirksamt informiert, auch nicht die betroffenen Familien“, kritisiert Johannes Kraft, der Pankower CDU-Fraktionsvorsitzende. Und so „unverzüglich“ sei das Eingreifen nicht nötig gewesen – das Gutachten des Bezirksamts stamme aus dem April und sei sogar schon im vergangenen Jahr beauftragt worden.

Nun einfach ohne jede Vorwarnung mit dem Abriss der Grabstätten zu beginnen, sei „ein sehr unsensibler Umgang mit Kulturgütern“, so Kraft. „Wenn sie auch nicht unter Denkmalschutz stehen, haben sie doch eine ganz wichtige Identifikationsfunktion für diesen Ortsteil. Die dürfen nicht einfach zerstört werden.“

Noch in der Ausschuss-Sitzung habe Kuhn laut Kraft einen Abriss-Stopp zugesagt. „Nur der mittlere Mauerteil (dort sind keine Grabtafeln) wird wegen akuter Einsturzgefahr abgerissen“, bestätigt Kuhn auf Nachfrage. „Für den hinteren Mauerteil habe ich einen Baustopp angewiesen.“

Doch laut den Anwohnern wurden sogar noch bis Mittwochmorgen weitere Grabplatten abgerissen. Diejenigen, die nicht dabei zerstört wurden, sollen laut Kuhn dauerhaft versetzt und „in einen noch entstehenden Begegnungsort auf dem Friedhof IX integriert“ werden. Dabei handelt es sich laut Kraft um eine Freifläche auf einem anderen Teil des Friedhofs: „Doch wenn man die opulente Mauer in Erinnerung hat, kann man sich kaum vorstellen, dass das noch so eine Identifikationsfunktion erfüllt.“

Deswegen hat Kraft nun gemeinsam mit den Anwohnern einen BVV-Antrag eingereicht, der die fordert, die Mauer samt Grabstätten „vollständig und originalgetreu unter Einbeziehung der ortsansässigen Vereine“ wieder zu errichten. – Text: Christian Hönicke

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