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Tegel: Warum die Nachtflieger im Osten lauter sind

Veröffentlicht am 07.03.2019 von Christian Hönicke

Der Widerstand gegen Tegel wächst. Zumindest im Nordosten Berlins haben viele Anwohner die Ohren voll vom innerstädtischen Flughafen. Schon länger gibt es die Bürgerinitiative „Pankow sagt NEIN zu TXL“. Sie hat sich vor dem Volksentscheid 2017 gegründet. Die Initiative ist weiter aktiv und hat sich mit anderen im Norden zum Bündnis „Tegel schließen – Zukunft öffnen“ zusammengeschlossen.

In einem Schreiben an die Oberste Luftfahrtbehörde fordert das Bündnis nun, Maßnahmen gegen den nächtlichen Fluglärm zu ergreifen. Denn der wird immer schlimmer, je länger sich die Eröffnung des BER in Schönefeld hinauszögert: Trotz des Nachtflugverbots zwischen 23 und 6 Uhr fanden zwischen Januar und Oktober 2018 laut Senatsangaben insgesamt 1217 nächtliche Flüge von und nach Tegel statt – im Schnitt also vier pro Nacht. Die Pankower Initiative hat in der Nachbarschaft deshalb 5000 Musterbriefe verteilt, die mit Absendern versehen an die Luftfahrtbehörde abgeschickt werden sollen.

Man kann den Musterbrief auch auf der Website der Initiative herunterladen, erklärt Mitinitiator Berend Hendriks. Die Luftfahrtbehörde sei zu einem Antwortschreiben verpflichtet, „aufgrund dieser Antwort können Sie individuell Klage einreichen“, so die Initiative. Sie erhofft sich eine „Klagewelle“, um den nächtlichen Fluglärm zu bekämpfen.

Und die Tegel-Nachtflieger werden nicht nur immer mehr – sie werden offenbar auch lauter. Jedenfalls im Osten Berlins, berichtet Anwohner Jürgen Erdmann. Ein Grund dafür seien fehlende Messstationen in den östlichen Bezirken. Diese überwachen in der Ein- und Ausflugsschneise den Lärm, je nach Krachlevel muss ein Aufschlag gezahlt werden. Über 90 dB kostet das bis zu 7500 Euro. Die östlichste Station befindet sich in der Pankower Pestalozzistraße.

Der Fluglärm wird also nur zwischen Pankow Kirche und Tegel erfasst. Der Lärm in der Einflugschneise über den östlichen Teilen Pankows und auch über Lichtenberg, Marzahn, Hellersdorf und Ahrensfelde wird nicht gemessen. Mit dem Effekt, dass es dort gerade nachts richtig laut werde, berichtet Erdmann. Westwärts sieht es ähnlich aus, über Staaken und Falkensee – allerdings sind die Nachtlandungen hier wegen der Windverhältnisse seltener als aus Richtung Osten.

Die Lande- und Startgebühren in Tegel richten sich nach der Lärmklasse der Flugzeuge und dem Zeitpunkt des Flugs. Bei Verspätungen kann eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden. Doch das kostet Aufschlag: Zwischen 23.00 und 23.29 werden 200 Prozent fällig, bis 23.59 Uhr 300 Prozent. Richtig teuer wird es zwischen 0.00 und 5.59 Uhr, dann müssen 500 Prozent mehr gezahlt werden.

Um Geld zu sparen, „geben die verspäteten Flieger über dem Osten Berlins häufig noch richtig Gas“. Zu diesem Urteil kommt Erdmann nach eigenen Beobachtungen und seiner Analyse der Flüge auf dieser Website. Dort kann man die Werte der Stationen einsehen und wer gerade wo, wie schnell, wie laut und wie hoch fliegt. Für Flüge in der Vergangenheit werden die Werte im Archiv gespeichert.

In der Regel würden die Nachtjets bis kurz vor dem Messpunkt Pankow (wenn er denn funktioniert, derzeit ist er defekt) noch mit großem Tempo und Lärm fliegen, hat Erdmann herausgefunden. Erst dann würden die Flugzeuge auf Tempo 200 bis 220 bremsen und dadurch auch deutlich leiser sein, um den Lärmzuschlag zu vermeiden.

Um Zeit zu sparen, werde gerade abends auch häufig von der vorgegebenen Einfluglinie abgewichen, so Erdmann. Per Website ließ sich nachverfolgen, dass allein am Dienstag ab 20 Uhr von zwölf Maschinen die Abkürzung über Wohngebiete in Köpenick, Hellersdorf, Marzahn und Wartenberg nach Tegel gewählt wurde. „Es gab kein Gewitter, keinen Regen, der diese Abkürzung gerechtfertigt hätte“, so Erdmann. „So erfreut sich fast der gesamte Berliner Osten regelmäßig über abendlichen Fluglärm.“

In Hamburg hat man schon auf die inzwischen „erschreckend hohe Zahl“ (Umweltsenator Jens Kerstan) von Flügen nach 23 Uhr reagiert. Eine Vielzahl sei auf „zu knappe Flugplanung“ zurückzuführen und damit vermeidbar. Um die Airlines zum Umdenken zu bewegen, wird nun Geld für vermeidbare Spätflüge eingetrieben, das die wirtschaftlichen Vorteile dieser Praxis zunichte machen soll. Allein von Easyjet fordert Hamburg 480.000 Euro.