Namen & Neues
Anwohner halten Nachverdichtungspraxis im Ostteil Berlins für "rechtswidrig"
Veröffentlicht am 23.12.2021 von Christian Hönicke
Droht dem Senat nach dem Mietendeckel und dem Vorkaufsrecht eine weitere schwere Niederlage in Sachen Wohnungspolitik? Bewohner des Vesaliuskiezes in Pankow sind der Meinung, dass die Nachverdichtungspraxis im ehemaligen Ostteil Berlins gegen geltendes Recht verstößt. Dies haben sie Berlins neuem Bausenator Andreas Geisel (SPD) in einem Offenen Brief mitgeteilt und eine Rechtsprüfung samt Veränderungssperre für Nachverdichtungen von Wohnanlagen gefordert.
Die „Bürgerinitiative Vesaliuskiez“ will die geplante Nachverdichtung ihrer Gesobau-Wohnsiedlung stoppen. Wie berichtet, sollen an der Vesaliusstraße ab 2022 zwei neue achtstöckige Wohngebäude mit 75 Wohnungen entstehen. Und zwar im Rahmen der Nachverdichtung von Nachkriegs-Wohnanlangen – wie auch im Fall der Gesobau-Wohnanlage an der Ossietzkystraße. Dort hat der Bezirk interveniert und eine weitere Verdichtung mit einem eilig aufgestellten Bebauungsplan zunächst verhindert.
In dem Brief weist die Initiative Senator Geisel auf „eklatante Unterschiede zwischen Osten und Westen der Stadt“ hin. Die Bewohner des ehemaligen Ostteils würden „leider 30 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch nicht gleichberechtigt behandelt“. Im Osten Berlins gebe es nämlich aktuell 77 solcher Nachverdichtungsvorhaben, im Westteil nur 40, schreibt die Initiative.
Der Grund dafür sei eine unterschiedliche Rechtslage: „Im Westteil der Stadt geht dem ein längeres Planungsverfahren voraus, ein Bebauungsplan wird erstellt, Einbeziehung von Organisationen, wie Umweltverbänden u.ä., Bürgereinspruch finden VOR der Bebauung statt.“ Im Ostteil seien Nachverdichtungsvorhaben dagegen ohne Bebauungsplan möglich – weil dort Wohngebiete und Großsiedlungen als „Baulücken“ behandelt werden, die nach dem „Lückenschluss“-Paragrafen 34 des Baugesetzbuches unbürokratisch verdichtet werden dürfen.
Doch die Praxis der Nachverdichtung ohne Bauplanung in den Ost-Bezirken werde „rechtswidrig angewandt“, behauptet die Initiative. Zugrunde liege dem Vorgehen nämlich die „Bauplanungs- und Zulassungsverordnung des Ministerrats der DDR“ aus dem Juli 1990. Diese sei jedoch formal nie rechtskräftig geworden, weil wenige Tage vorher das Kommunalverfassungsgesetz der DDR außer Kraft gesetzt wurde „und somit die Verordnungsermächtigung des Ministerrats (…) bereits entfallen war. Die Verordnungsermächtigung ist also nicht in Kraft.“
Der Gesamtberliner Senat habe die unwirksame Verordnung ohne genaue Prüfung der Rechtslage einfach übernommen. Die Initiative fordert Geisel nun auf, „die unkontrollierte Nachverdichtung nach Paragraf 34 BauGB im Ostteil der Stadt“ zu stoppen. Der Senator müsse „die generelle Rechtslage in der Berliner Baupolitik durch unabhängige Instanzen prüfen lassen, bevor Sie als Senator rechtswidrige Entscheidungen treffen. Verhängen Sie eine Veränderungssperre, solange die Rechtslage nicht eindeutig geklärt ist!“
Auch die landeseigene Gesobau beharre an der Vesaliusstraße bisher „auf dem Recht, keine Bauplanung machen zu müssen“, kritisiert die Initiative. Das Beteiligungsverfahren sei „nur halbherzig durchgeführt“ worden „und statt Befragung der die Spielplätze nutzenden Kinder und Jugendlichen im Kiez wurde eine Kitagruppe ohne jegliche Berührungspunkte mit diesen Spielplätzen interviewt“. Eine weitere Verdichtung gehe zu Lasten der Kinder des Wohngebietes.