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Nachverdichtung: Bezirksamt sieht Unterschied zwischen Ost und West, Geisel lehnt Prüfung ab
Veröffentlicht am 06.01.2022 von Christian Hönicke
Ist die Nachverdichtungspraxis im Ostteil Berlins rechtswidrig? Bausenator Andreas Geisel (SPD) bestreitet das entschieden und will so weitermachen wie bisher. Pankows Bezirksamt Pankow räumt allerdings zumindest Unterschiede zwischen dem ehemaligen West- und Ost-Berlin ein – und will sich für eine Angleichung einsetzen.
Hintergrund der Debatte ist der Offene Brief von Bewohnern des Vesaliuskiezes in Pankow an Geisel. Sie hatten darin eine Rechtsprüfung samt Veränderungssperre für Nachverdichtungen von Wohnanlagen gefordert. Darüber hatten wir vergangene Woche berichtet. In dem Brief wies die Initiative den Senator auf „eklatante Unterschiede zwischen Osten und Westen der Stadt“ hin. Der Grund dafür sei eine unterschiedliche Rechtslage: „Im Westteil der Stadt geht dem ein längeres Planungsverfahren voraus, ein Bebauungsplan wird erstellt, Einbeziehung von Organisationen, wie Umweltverbänden u.ä., Bürgereinspruch finden VOR der Bebauung statt.“
Im Ostteil seien Nachverdichtungsvorhaben dagegen ohne Bebauungsplan möglich – weil dort Wohngebiete und Großsiedlungen als „Baulücken“ behandelt werden, die nach dem „Lückenschluss“-Paragrafen 34 des Baugesetzbuches unbürokratisch verdichtet werden dürfen. Dies sei eine Folge einer DDR-Verordnung, die nach Ansicht der Bewohner nie wirklich rechtskräftig geworden sei.
Eine Sprecherin des Stadtentwicklungssenators wies dies auf Tagesspiegel-Nachfrage zurück. „Mit Inkrafttreten des Einigungsvertrags am 3. Oktober 1990 wurde das gesamte Baugesetzbuch (BauGB) als Bundesrecht im Beitrittsgebiet (fünf neue Länder und Ost-Berlin) eingeführt und die in der Übergangszeit für das Beitrittsgebiet geltende Bauplanungs- und Zulassungsverordnung (BauZVO) weitgehend ersetzt“, erklärte sie. Seither würden die Regeln des § 34 BauGB für Vorhaben im unbeplanten Innenbereich „uneingeschränkt auch im Ostteil der Stadt“ gelten: „Daran bestehen keinerlei Zweifel.“ Das würde auch die ständige Rechtsprechung der Berliner Verwaltungsgerichte bestätigen.
Für Geisel bestehe daher „kein Anlass, diese Regelung auf ihre Rechtssicherheit zu prüfen“. Der Baulücken-Paragraf 34 komme „unabhängig davon, ob das Grundstück im West- oder Ostteil der Stadt liegt“, zum Einsatz. Im Ostteil der Stadt werde er allein deswegen öfter angewendet, „weil wesentliche Bereiche dort noch unbeplant sind“. Genau diese Einstufung kritisiert die Initiative – erst durch die vermeintlich nicht rechtskräftig gewordene DDR-Verordnung seien große Teile Ost-Berlins als „unbeplanter Stadtinnenbereich und alle planvoll errichteten Wohngebiete und Großsiedlungen als Baulücken i.S.d. BauGB“ eingestuft worden.
Laut Geisel liegt es dennoch „in den meisten Fällen (…) in der Hand der Bezirke, Bebauungspläne aufzustellen, um die städtebauliche Entwicklung zu steuern“. Bei vielen kleineren und mittleren Nachverdichtungsvorhaben sei ein Bebauungsplan „allerdings oft nicht erforderlich“, weil sie eben nach dem ominösen Paragrafen 34 zugelassen werden können.
Der Bezirk Pankow sieht allerdings schon Handlungsbedarf. Zwar habe sie „keine begründeten Zweifel daran“, dass der Paragraf 34 auch im Osten Berlins in Kraft getreten sei, erklärte die Bezirksbaustadträtin Rona Tietje (SPD). Die Argumentation der Anwohner, dass die Nachverdichtungspraxis im Osten nicht rechtskonform sei, „halte ich für nicht überzeugend“. Auch für das Verhängen einer Veränderungssperre sieht Tietje daher „keine Veranlassung“.
Allerdings räumt sie Unterschiede zwischen den beiden ehemaligen Stadthälften ein. „Es gibt tatsächlich eine Besonderheit in West-Berlin, die zu beachten ist und die in Ost-Berlin verständlicherweise oft als Benachteiligung empfunden wird“, sagt Tietje. Für ganz West-Berlin sei 1958 ein sogenannter Baunutzungsplan beschlossen worden, der Art und Maß der baulichen Nutzung festlegt.
Dieser Baunutzungsplan gelte „für einen großen Teil von West-Berlin nach wie vor als verbindliches Planungsrecht, ähnlich einem Bebauungsplan“, so Tietje. Dadurch gebe es „stärkere bindende Vorgaben für Bauherren als bei einer Beurteilung nach § 34 BauGB – und das ist wahrscheinlich mit ein Grund, warum es in Ost-Berlin mehr Nachverdichtungsvorhaben gibt als im Westen“.
Die Lösung könne nun nicht sein, dieses Planungsrecht nachträglich aufzuheben. „Es muss vielmehr darum gehen, die Möglichkeiten da, wo es notwendig ist, auch in Ost-Berlin konsequent anzuwenden“, sagt Tietje. „Das ist meines Erachtens in der Vergangenheit zu selten gemacht worden.“
Konkret könne und solle der Bezirk mehr Bebauungspläne auch bei kleineren Vorhaben festsetzen. Bei den großen Wohnungsbauvorhaben werde dies „auch ausnahmslos so gemacht“, so Tietje. Aber auch bei Nachverdichtungsvorhaben sei das eine Möglichkeit – etwa beim Schlosspark-Kiez. „Das ist sicher nicht in jedem Fall sinnvoll, insbesondere, wenn es sich eher um Nachverdichtungen geringeren Umfanges handelt“, sagt Tietje. „Aber die Bezirke haben diese Steuerungsmöglichkeit, über die dann im Einzelfall politisch entschieden werden muss.“
In der Pankower Praxis wurde die politische Entscheidung aus einem einfachen Grund oft gegen Bebauungspläne bei kleineren Bauvorhaben getroffen: Der Bezirk hat schlicht nicht genügend Personal für die Bearbeitung. Und Tietje hat bereits erklärt, dass ihr Stadtentwicklungsamt mit den absehbaren Großprojekten in dieser Legislatur mehr als ausgelastet ist.