Sport

Veröffentlicht am 06.08.2020 von Christian Hönicke

Nicht denkmalwürdig, aber „stadtgeschichtlich besonders“: Landesdenkmalamt mit verwirrender Einschätzung zum Jahn-Stadion. Das Große Stadion im Jahn-Sportpark soll ja abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Obwohl es aus dem Jahr 1951 stammt und eines der letzten erhaltenen Zeugnisse des DDR-Stadionbaus ist, steht es nicht unter Denkmalschutz (wir hatten darüber berichtet). Warum eigentlich nicht?, wollte nun Michail Nelken (Linke) wissen, einer der engagiertesten Abrissgegner. Also richtete er eine Schriftliche Anfrage an die Senatsverwaltung für Sport. Diese erklärte: „Die vorliegenden Erkenntnisse zu dem Objekt erlauben eine Darstellung eines Denkmalwerts nach den Kriterien des Denkmalschutzgesetzes Berlin nicht.“

Das Denkmalschutzgesetz definiert in Paragraf 2, Absatz 2 die Kriterien so: „Ein Baudenkmal ist eine bauliche Anlage oder ein Teil einer baulichen Anlage, deren oder dessen Erhaltung wegen der geschichtlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen oder städtebaulichen Bedeutung im Interesse der Allgemeinheit liegt.“

Normalerweise wird zur Klärung dieser Frage bei prominenten Bauwerken ein denkmalschutzrechtliches Gutachten eingeholt. Nicht so bei der landeseigenen Sportarena. „Ein Gutachten liegt nicht vor“, erklärt die Senatsverwaltung knapp. Demnach nahm das Landesdenkmalamt (LDA) 2019 – fünf Jahre nach dem politischen Abrissbeschluss – lediglich eine „Erfassung“ des Stadions vor.

Und diese „Erfassung“ des LDA kommt laut Sportverwaltung zu dem Schluss, dass das Stadion „stadtgeschichtlich besonders“ ist: „Die Erfassung erbrachte Aufschluss über Entstehung und Entwicklung des Objekts. Das Stadion im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark wurde 1951 von dem Architekten Rudolf Ortner entworfen. Das Haupttribünengebäude des Cantianstadions, das 1987 zur 750-Jahr-Feier Berlins eingeweiht wurde, wurde 1985-87 durch die tschechische Baufirma OKR Banké Projekt Ostrava KUO neu errichtet.“

Und weiter: „Da das Areal seit Ende des 19. Jahrhunderts als Sportstätte genutzt wurde – bis 1904 war hier die erste Spielstätte des Berliner Fußballvereins Hertha BSC (als „Berliner Fußball Club Hertha 1892“) – ist der Ort mit der Berliner Sportgeschichte verbunden. Dass das 1951 anlässlich der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Ost-Berlin errichtete Stadion unmittelbar an der Grenze zum West-Berliner Bezirk Wedding lag, ist stadtgeschichtlich besonders, ebenso wie die Tatsache, dass es nach dem Olympiastadion das zweitgrößte Stadion in Berlin ist.“

Obwohl das Stadion laut Landesdenkmalamt also in mindestens zwei Punkten „stadtgeschichtlich besonders“ ist und damit prinzipiell als Baudenkmal in Frage kommt („geschichtliche, künstlerische, wissenschaftliche oder städtebauliche Bedeutung“), ließ die Sportverwaltung trotz der jahrelangen Diskussion um die Zukunft des Stadions nie ein ordentliches Denkmal-Gutachten erstellen.

Womöglich könnte dabei Paragraf 10 des Denkmalschutzgesetzes („Schutz der unmittelbaren Umgebung“) eine Rolle spielen: „Die unmittelbare Umgebung eines Denkmals, soweit sie für dessen Erscheinungsbild von prägender Bedeutung ist, darf durch Errichtung oder Änderung baulicher Anlagen, durch die Gestaltung der unbebauten öffentlichen und privaten Flächen oder in anderer Weise nicht so verändert werden, dass die Eigenart und das Erscheinungsbild des Denkmals wesentlich beeinträchtigt werden.“ Würde das große Stadion unter Denkmalschutz gestellt, könnte die Umgestaltung des kompletten restlichen Jahn-Sportparks auf der Kippe stehen.

„Ignoranz“ im Umgang mit dem Stadion wirft Gunnar Müller vom Förderverein Schloss Hohenschönhausen der Berliner Verwaltung vor. Der Bauhaus-Absolvent Ortner sei als renommierter Architekt anerkannt. In den fünfziger Jahren sei er auf Grund der politischen Entwicklung gezwungen gewesen, in den Westen zu gehen. In seinen letzten Lebensjahren habe er sich verstärkt der Bildenden Kunst zugewandt. „Es wäre doch wirklich sehr traurig, wenn sein Hauptwerk in Berlin jetzt der Ignoranz zum Opfer fiele“, so Müller. „Es wäre auch ein großer Verlust für unsere Architekturgeschichte.“ – Text: Christian Hönicke

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