Kiezgespräch
Veröffentlicht am 21.06.2018 von Christian Hönicke
Vor zwei Wochen wurde die Friedrich-Engels-Straße von genervten Anwohnern zur lautesten Straße Berlins gekürt. Unweit davon formt sich nun Protest: Für die Anrainer des Gewerbegebiets „Buchholzer Straße / Wackenbergstraße“ in Niederschönhausen ist hier Berlins lautester Ort. Deshalb gründen sie nun eine Bürgerinitiative, unter dem Motto „Uns reicht’s – endlich Ruhe im Wohngebiet!“ Laut Mitinitiatorin Heike Fischer werden die Anwohner hier Tag und Nacht durch Industrielärm und Erschütterungen um den Verstand gebracht.
Das kritisierte Industrieareal liegt inmitten eines großen Wohngebiets nordöstlich des Schlossparks Schönhausen. „Das Gewerbegebiet existiert zwar schon lange, aber es ist wildwuchsartig gewachsen“, so Fischer, „und zwar, ohne die Infrastruktur entsprechend anzupassen und zu hinterfragen, ob die Lage umringt von Anwohnern überhaupt für gewisse Gewerbearten passt.“ Schrotthöfe, Autowerkstätten, Betonwerke, Maschinenbau-, Verpackungs- und Logistikfirmen haben hier ihren Sitz. „Über das Kopfsteinpflaster der engen Wackenbergstraße donnern Schwerlasttransporter und riesige Bauschuttcontainer über unsanierte Holperstraßen des Wohngebiets.“ Und zwar gerade auch über die engen Nebenstraßen, weil manche Fahrer laut Fischer planlos nach Navigationsgerät führen und andere „nach einer Abkürzung ohne Rücksicht auf Verluste“ suchten.
Hinzu komme die Belastung durch die ansässigen Gewerbe. Fischer: „Direkt neben Wohnhäusern wird zu allen Zeiten gesägt, gefräst und gepiept, was das Zeug hält.“ Da der Bezirk Pankow bisher trotz diverser Beschwerden und Aktionen untätig geblieben sei, „werden wir eine Bürgerinitiative gründen“. Die Gründungsveranstaltung findet am heutigen Donnerstag ab 19.30 Uhr im Restaurant Phaeton in Charlottenstraße 8 statt, am Rande des Gewerbegebiets.
In ihrem Flugblatt beklagt die Inititiative auch materielle Verluste durch das dröhnende Gewerbegebiet. „Unsere Häuser bekommen Risse, senken sich ab und verlieren an Wert.“ Und immer wieder würden parkende Autos durch die LKWs in den engen Straßen beschädigt. Im April wurden Anwohner mit ihren Klagen in der Bezirksverordnetenversammlung vorstellig. Bezirksbaustadtrat Vollrad Kuhn (B’90/Grüne) machte ihnen wenig Hoffnung auf Besserung und verwies lediglich auf die Möglichkeit, geförderte Schallschutzfenster zu beantragen.
Doch so einfach wollen sich die geplagten Anwohner nicht abspeisen lassen. Sie fordern per sofort verkehrsberuhigende Maßnahmen für das Wohngebiet und die Durchsetzung der Umwelt- und Lärmschutzbestimmungen durch ständige Kontrollen. Mittelfristig sollen die lärm- und emissionsstarken Betriebe „an besser geeignete Standorte im Bezirk Pankow“ verlagert werden. Und langfristig soll ein Vergabeplan für das Gewerbegebiet unter Einbeziehung der Anwohner erstellt werden. Manche besonders lärmenden Nutzungen wie das Bauschuttgewerbe sollen nach dem Willen der Anwohner von vornherein ausgeschlossen werden.
Doch diese Ansinnen weist Baustadtrat Kuhn ab. Der Bezirk bemühe sich zwar, „wenigstens die Gefahrenstellen kurzfristig zu beseitigen und damit auch punktuell die Lärmbelastung durch den Kfz-Verkehr etwas zu verringern“. Aber der Nachweis einer konkreten Gesundheitsgefährdung durch Messungen sei dem Bezirk „nicht möglich“. Auf die Vermietung bestehender Gebäude an Gewerbetreibende habe der Bezirk ohnehin „gar keinen Einfluss. Wir erfahren erst von Problemen, wenn es Anliegerbeschwerden gibt.“ Es gebe hier keine grundsätzlichen Lösungsmöglichkeiten, „es sei denn, wir könnten das Gewerbegebiet schließen“, so Kuhn. Das sei jedoch allein aus rechtlichen Gründen nicht möglich, da die Gewerbenutzung im Flächennutzungsplan verankert sei, „und wegen der Arbeitsplätze auch nicht gewollt“.
Den geplagten Anwohnern bleibt also wohl nur eine Lösungsmöglichkeit: wegziehen. Aber am besten nicht in die Friedrich-Engels-Straße.