Kiezgespräch

Veröffentlicht am 15.11.2018 von Christian Hönicke

„Pankows Schulproblem ist Berlins Problem.“ Er ist einer der renommiertesten Stadtplaner Europas: Martin Aarts war jahrelang Chef der Stadtentwicklung in Rotterdam und trieb die Wandlung der schmuddeligen Hafenstadt zur Metropole von Weltrang voran. Im Tagesspiegel-Interview forderte er vor kurzem dringend eine stadtplanerische Vision für Berlin und warnte die Stadt andernfalls vor dem Abstieg.

Seit drei Monaten lebt Aarts am Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg. Eigentlich wollte der 66-Jährige hier ein Sabbatical einlegen, ein bisschen Kultur genießen und einen Sprachkurs absolvieren. Doch nach seinem Interview konnte er sich vor Anfragen aus Politik, Medien und Wirtschaft kaum retten. So erlebte er auch den Berliner Arbeitsalltag. Wir veröffentlichen ab jetzt an dieser Stelle seine Beobachtungen und Analysen. Beginnen wollen wir mit dem Thema, das er selbst als das wichtigste ansieht: den Schulplatzmangel.

„Ich weiß vom Schulplatzmangel in Pankow. In Prenzlauer Berg ist es besonders dramatisch. Ein Freund wohnt an der Prenzlauer Allee – um seine Kinder auf die Schule zu bekommen, musste er eine echte Leistung vollbringen. Typisch Berlin ist, zu sagen: Pankow hat ein Schulproblem. Nein, das Problem hat Berlin. Die ganze Stadt muss dazu eine Position entwickeln, sie kann den Bezirk damit nicht einfach allein lassen. Nach dem Motto: Ihr habt keine Flächen? Tja, Pech gehabt.

Es kann doch nicht sein, dass die Menschen aus Prenzlauer Berg oder Niederschönhausen ihre Kinder nach Moabit oder Charlottenburg bringen müssen, weil da noch freie Schulplätze sind. Aber das ist aus meiner Sicht der Nachteil dieser Bezirksstruktur, und dass es zwischen Politik und Stadtverwaltung keine unabhängige Steuerungsinstanz gibt.

Ich habe davon gelesen, dass aktuell um das alte Kinderkrankenhaus in Weißensee gestritten wird. Die Senatsverwaltung will offenbar Wohnungen, der Bezirk lieber eine Schule, weil in der Gegend Plätze fehlen. Ich kenne die genauen Zahlen nicht, aber die Antwort ist normalerweise klar: Wenn es dort zu wenige Schulen gibt, dann muss da eine Schule hin.

Denn die wichtigste Frage, wenn Leute irgendwo wohnen wollen, ist die: Wo gehen meine Kinder zur Schule? Denn es geht dabei um das Überleben unserer Kinder, wir wollen, dass sie an eine gute Schule kommen und später studieren können.

Mit der Schulfrage beginnt jede Stadtentwicklung. Man kann keine Wohnungen bauen, wo es nicht genügend Schulen gibt, denn dann zieht dort keiner hin. Und wenn die Gefahr besteht, dass es bald irgendwo nicht mehr genügend Schulen gibt, müssen als erstes neue gebaut werden. Das ist wichtiger als ein paar Wohnungen. Sonst wollen die Leute da irgendwann wieder weg, und das ist schlimm für ein Viertel. Dann beginnt der Abwärtstrend.

Die Stadtentwicklung muss solche Fragen integral betrachten, nicht einfach nur singulär ein Problem lösen wollen. In Rotterdam hat die Politik in diesen Fällen die politisch unabhängige Verwaltung gefragt: Martin, was machen wir? Dann habe ich keine Meinung gesagt, nicht meine oder irgendeine politisch opportune. Eine solch wichtige Frage kann nicht nur durch eine Meinung beantwortet werden, dazu muss es eine Untersuchung geben. Deswegen habe ich die Fachleute gefragt: Wie sieht es hier mit den Schulen aus, brauchen wir welche oder gibt es genügend? Die haben dann dazu die nötigen Studien und Optionen vorgelegt. Ich weiß gar nicht, wie das anders funktionieren sollte.“