Kiezgespräch
Veröffentlicht am 02.11.2023 von Christian Hönicke
„Mindestens 100 Bäume“: Anwohner entsetzt über Rodungspläne für Riesen-Baustelle im Mauerstreifen an der Wollankstraße. Die Vorbereitungen für die Riesenbaustelle an der Wollankstraße laufen auf Volldampf. Die S- und Fernbahnbrücken an der Bezirksgrenze zwischen Pankow und Mitte werden abgerissen und erneuert. Parallel dazu wird nördlich des Bahnhofs Wollankstraße eine neue ICE-Abstell- und Wartungsanlage gebaut. Die bauvorbereitenden Maßnahmen sind bereits gestartet – ab November soll nun im „Grünen Band“ großflächig gerodet werden, erfuhren Anwohner unlängst auf einer Informationsveranstaltung der Deutschen Bahn.
Mit Entsetzen reagierten sie dabei auf die Pläne für die Baustelleneinrichtung. Diese soll nämlich wie berichtet im ehemaligen Mauerstreifen zwischen Wollankstraße und Bürgerpark Pankow erfolgen, der eine öffentliche Grünanlage und Teil eines Landschaftsschutzgebiets (LSG) sowie des denkmalgeschützten „Grünen Bandes“ ist. Für Zufahrt und Baustelle soll eine große Anzahl Bäumen gerodet werden soll.
„Eine genaue Zahl wurde nicht genannt“, berichtet die Anwohnerin Silke Pfeiffer. Es seien jedoch bereits Bäume markiert worden – nach ihrer Schätzung sind mindestens 100 große, alte Exemplare in Gefahr. Das Bezirksamt Pankow verwies auf Nachfrage an die Senatsumweltverwaltung, dort sei die Obere Naturschutzbehörde zuständig. Doch auch dort konnte man nicht sagen, wie viele Bäume genau gefällt werden sollen. „Die Bilanzierung erfolgte nicht nach Einzelbäumen, sondern entsprechend den Vorgaben der Bundeskompensationsverordnung nach der Flächengröße von den jeweiligen Biotopen“, teilte eine Sprecherin mit.
Auch im Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamts lässt sich dazu nichts Konkretes finden. Darin heißt es lediglich, es würden Obst- und Straßenbäume, Rasen und Büsche gerodet – teilweises ohne Ersatz zu schaffen. Generell komme es zu „baubedingten Verlusten von trassenbegleitenden Gehölzen“ durch die „Einrichtung einer Böschungsauffahrt auf dem Bahndamm und Neuanlage von Böschungen sowie der Errichtung der Lärmschutzwand“. Außerdem würden Bäume („Gehölzbestände“) für den „Ausbau der zukünftigen zweigleisigen Fernbahntrasse (…) dauerhaft beseitigt“.
Nach letztem Stand wollte die Bahn ab Anfang 2024 den „sukzessiven“ Abriss der Bahnbrücken über die Wollankstraße angehen. Die Inbetriebnahme der neuen Brücken für S-Bahn und Fernzüge soll „voraussichtlich Ende 2028“ erfolgen. Dazu ist ein neuer Eingang am Bahnhof Wollankstraße in Richtung Pankow geplant. Die Inbetriebnahme des ICE-„Boxenstopps“ nordwestlich des Kinderbauernhofs Pinke-Panke am Rande des Bürgerparks ist für 2026 vorgesehen.
Als Kompensationsmaßnahmen für die Rodungen sollen eine japanische Zierkirsche, ein Straßenbaum sowie „trassenbegleitend Feldgehölze und eine mehrreihige Hecke“ angepflanzt werden, heißt es im Planfeststellungsbeschluss.
Doch offenbar sollen längst nicht alle Bäume nachgepflanzt werden und die neuen Böschungen etwa komplett baumfrei bleiben: „Da weitere Kompensationsflächen nicht vor Ort zur Verfügung stehen, werden die übrigen zu kompensierenden Eingriffe in Form einer zweckgebundenen Ersatzzahlung in Höhe von 116.207 Euro an das Land Berlin ausgeglichen.“
Wie viele Ersatzbäume nachgepflanzt werden, konnte auch die Senatsverkehrsverwaltung nicht sagen. Das sei „kompliziert“, da auf der Fläche auch Kompensationsmaßnahmen für den Bau der Dresdner Bahn in Tempelhof-Schöneberg vorgesehen seien.
Silke Pfeiffer ist das alles zu intransparent. Sie hat sich mit anderen Anwohnern inzwischen zur Initiative „Kahlschlag 2023“ zusammengeschlossen, um möglichst viele Bäume zu retten. Dafür haben sie eine Petition gestartet. „Wir wollen nicht die Verkehrswende verhindern, aber wir wollen auch nicht, dass das gesamte Grüne Band gerodet wird“, sagt Pfeiffer.
Die Initiative kritisiert insbesondere, dass die Bahn sich die Fällung vieler Bäume aus Gründen der Bauvereinfachung vorbehalte. Man verstehe den Bedarf an Modernisierung, heißt es in der Petition. „Aber das komplette Fällen der Bäume erscheint uns dann doch zu einfach und zu ideenlos.“
Man wolle ein Bewusstsein dafür schaffen, dass an diesem historisch bedeutsamen Ort „nur gerodet wird, was unbedingt gerodet werden muss“, sagt Pfeiffer. „Man darf nicht einfach aus Bequemlichkeit Tabula rasa machen. Es sollte so verträglich wie möglich ablaufen.“
Auch auf den Verkehr wird die Baustelle große Auswirkungen haben. Während Bus-, Fuß- und Radverkehr, abgesehen von „temporären Vollsperrungen“, weiter fließen können soll, wird der Pkw-Verkehr auf der Wollankstraße „für die Bauzeit großräumig umgeleitet“, teilte die Senatsverkehrsverwaltung unlängst mit. Bei der S-Bahn wird es über den gesamten Bauzeitraum „zu Sperrungen unterschiedlichsten Umfangs kommen“.