Nachbarschaft
Veröffentlicht am 03.05.2018 von Christian Hönicke

Beate Kitzmann ist Geschäftsführerin des Naturhofs Malchow. Der gehört offiziell ganz knapp zu Lichtenberg, allerdings sind die angrenzenden Pankower Wiesen zwischen Blankenburg und Heinersdorf das Habitat für die Störche, die Jahr für Jahr in Malchow brüten. Kitzmann fürchtet, dass unter anderem das geplante Bauprojekt „Blankenburger Süden“ die letzten Weißstörche aus Berlin vertreibt.
Frau Kitzmann, wie viele Störche gibt es noch in Berlin? Die Anzahl schwankt zwischen zwei und drei Brutpaaren. Letztes Jahr hatten wir ein Brutpaar in Falkenberg und eins in Blankenfelde. Dieses Jahr wurde ein Paar in Falkenberg und ein einzelner Storch in Malchow gesehen. In Berlin gibt es insgesamt fünf Storchennester, davon vier in den Dörfern im Norden Lichtenbergs – zwei in Malchow, je eines Falkenberg und Wartenberg. Ein weiteres befindet sich im Bezirk Pankow im Dorf Blankenfelde.
Der Nordosten ist Berlins traditionelles Storchbrutgebiet. Er birgt aber auch großes Wohnbaupotenzial. Sind die Störche davon bedroht? Ja. In der dörflichen Umgebung von Pankow und Lichtenberg stehen Großbauvorhaben mit weitreichenden Veränderungen und die Umwandlung zum Ballungsraum an, zum Nachteil nicht nur der Störche. Aktuell konkret bedroht sind die drei Nester Malchow und Blankenfelde durch Berlins größtes Bauprojekt „Blankenburger Süden“. Nach Malchow wird dann kein Storch mehr kommen.
Wieso nicht? Das Baugelände umfasst größtenteils naturnahes Gelände und landwirtschaftliche Nutzflächen. Die Wiesen und Ackerflächen, aber auch die Kleingartenanlagen, Alleen und Randstreifen um Blankenburg sind für die Störche von hoher Relevanz für Nahrung und Lebensraum. Mit der fortschreitenden Fragmentierung, Verdichtung und Versiegelung der grünen Stadtrandgebiete werden nun mittelgroße grüne Inseln beschnitten, die für den Artenschutz wichtig sind.
Es soll doch auch künftig Grünflächen rund um Blankenburg geben. Allein schützenswerte Elemente wie Gräben und Feldgehölze zu erhalten und nur Grünverbindungen zu erstellen, die die Menschenmassen übernutzen werden, ist keine Basis für einen ganzheitlichen Naturschutzansatz. Unser Anliegen ist der Erhalt der Nahrungsgebiete für den Storch und andere ökologische Schlüsselgruppen. Denn Störche sind Leitarten, die Ansprüche an ihren Lebens- und Vermehrungsraum sind auch die zahlreicher anderer Arten wie Insekten. Stellt man den Lebensraum des Storches unter Schutz, erreicht man einen Biotopschutz für viele Arten.
Was braucht der Storch? Jedem Brutpaar sollte ein Nahrungshabitat von mindestens zwei bis drei Kilometer im Radius um den Neststandort zur Verfügung stehen. Das ist ausschlaggebend für den Bruterfolg.
Sind die Störche nicht nur ein willkommener Vorwand für die Anwohner, die keine Neubauten in der Nachbarschaft wollen? In der Vergangenheit war die öffentliche Wahrnehmung so, dass Tierarten Bauvorhaben stoppen und verhindern. Mit dem akuten Insektensterben, das europaweit in vollem Gange ist, merken wir doch allmählich, dass unser Flächenverbrauch, unser Flächenmanagement und unsere Art der Flächenbewirtschaftung nicht dazu beitragen, das ökologische Gleichgewicht zu halten.
Ein Park zum Grillen und ein Hundeauslaufgebiet sind nicht genug für Berliner? Nein, auch Berliner brauchen außerdem ein funktionierendes ökologisches Gleichgewicht für ihr Wohlbefinden. Berlin sollte Wildnis wagen statt Ersatznatur zu schaffen. Die Storchennester befinden sich zudem alle am Stadtrand von Berlin, meistens auch in den Frischluft- und Kaltluftentstehungsschneisen. Die sind für die Innenbelüftung des Berliner Zentrums von zunehmender Bedeutung für heiße Sommer.
Warum? Die Innenstadt wird an heißen Sommertagen so aufgeheizt, dass sie auf lange Sicht nicht mehr bewohnbar ist, weil es nachts zu keiner Abkühlung kommt. Das zeigen bereits andere Metropolen in Europa und Amerika. Dennoch sind derzeit viele Frei- und Landwirtschaftsflächen gerade in Pankow von Bebauung bedroht. Niemand lenkt den Bauwahn in die richtigen und berlinverträglichen Bahnen.
Was ist denn im Fall „Blankenburger Süden“ aus Ihrer Sicht der berlinverträgliche Weg? Bebaut werden sollte nur das ehemalige Kasernengelände am Blankenburger Pflasterweg, da passen auch 1000 Wohneinheiten drauf. Die Landwirtschaftsflächen sollten frei bleiben. Wir fordern für die Flächen um das Entwicklungsgebiet eine umfangreiche Habitat- und Raumnutzungsanalyse für diverse Tiergruppen, um eine Prognose zu erarbeiten, inwiefern verschiedene Bebauungsgrade diesen Lebens- und Nahrungsraum verändern. Wir haben den Bezirk Lichtenberg dazu aufgerufen, sich in Bebauungspläne für Blankenburg einzumischen. Ein entsprechender Antrag soll nun in die BVV eingebracht werden.
Wohin würden die Störche andernfalls flüchten? Ist in Brandenburg nicht genug Platz? Die Entwicklungen in Berlin sind auch in Brandenburg an der Tagesordnung. Die Zerstörung ihrer Nahrungsgebiete ist ein Hauptgrund für den stark gesunkenen Storchbestand in Westeuropa. Auch in Deutschland wird ihr Lebensraum stetig kleiner. Und die Störche, die in Berlin nicht mehr brüten können, werden an anderen Storchennestern in Konkurrenz zu anderen Störchen treten und um Niststandorte kämpfen müssen.
Foto: Imago/Manngold
Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute-c.hoenicke@tagesspiegel.de