Nachbarschaft

Veröffentlicht am 07.06.2018 von Constanze Nauhaus

Matthias Gehrhus, Wirt der „Bornholmer Hütte“ im Prenzlauer Berg, Bornholmer Straße 89, täglich ab 17 Uhr.

Die Hütte gibt es seit 1904. So lange arbeiten Sie hier aber noch nicht, oder?

Aber fast. Ich komm‘ eigentlich aus der Großküche, bin wie viele Kollegen nach der Wende aus meinem Job geflogen und hab‘ dann 1991 erstmal bei Vattern angefangen zu arbeiten, der hatte die Kneipe 1954 übernommen. 1996 starb er und drei Jahre später wurde ich dann Chef. Vorher hat’s Muttern gemacht.

Wann ist das letzte Mal gestrichen worden?

1973. Und zwar hellbeige, das Dunkle ist alles angerauchte Patina. Außer Fußboden mache ich hier nichts, ab und an mal feucht durchwischen. Aber auch nicht zu viel. Die Leute sollen ja sitzen bleiben. Also, kleben.

Bleiben sie vor allem am Tresen, oder?

Als ich hier anfing, war das eine reine Männerdomäne. Am Tresen alte Männer vor Molle und Korn. Durch meine Kumpels verjüngte sich das Publikum leicht, die haben dann auch mal ihre Freundinnen mitgebracht und die dann irgendwann ihre Freundinnen. Ich hab‘ die Damenwelt massiv umworben, ich war ja ein junger Mann und wollte auch was zum Angucken haben, wenn ich hier schon jeden Abend hinterm Tresen stand.

Und jetzt, wie hat sich das Publikum verändert?

Jetzt kommen Frauen auch alleine. Früher kamen die Kerle rein, „Fünf Bier, fünf Korn“, danke, tschüss. Und die Frauen konnten sich ewig nicht entscheiden, was sie bestellen sollen. Jetzt ist es andersrum. Die Mädels kommen rein, „ich will dit und dit“, und die Männer so „mmmmh, ich weiß noch nicht.“ Ist wohl eine generelle Entwicklung.

Und sind die Tresenprobleme in den letzten 27 Jahren andere geworden?

Als Kiezkneipenwirt bin ich für die Leute ja automatisch eine Art Kummerkasten. Aber die Gesprächsthemen sind genau dieselben geblieben, die Reihenfolge auch: Essen, Frauen, Fußball, ganz wenig Politik – also nur, wenn was Großes passiert, oder im Kiez. Aber, Unterschied beim Essen: Die Männer fliegen ja heute nicht mehr raus zu Hause und dürfen auch selber kochen. Und unterhalten sich dann hier, „ich war da und da einkaufen und hab‘ dit und dit so und so zubereitet“.

Sie erleben hier ja einiges. Ihre liebste Anekdote?

Gott war mal hier. Das ist schon ein paar Jährchen her, da kam hier am späten Nachmittag ein abgerissener junger Mann rein – so ein Kollateralschaden der Wende. Ich dachte mir gleich: Mehr als drei Bier kriegt er nicht. Er fing er dann an zu brabbeln: „Ich brauch ’nen Anwalt. Muss Goethe verklagen. Der hat meine Texte geklaut.“ „Watt?“, sag‘ ich. Ich bin jetzt kein Wissensmensch, aber dass Goethe schon eine Weile tot ist, weiß ich auch. Er dann: „Ja, ich hab‘ schon sieben Plagen geschickt, aber hat nichts genützt. Ich kann das ja nicht schon wieder machen!“ Nach anderthalb Stunden hab‘ ich ihn gebeten zu gehen. Auch mein Gehirn ist nur begrenzt aufnahmefähig.

Zum Schluss die Pfeffi-Frage: Goldene Aue oder Berliner Luft?

Weder noch. Wenn mir nach Mundwasser ist, putze ich mir die Zähne. Ansonsten Wodka.

Übrigens: Die Hütte sucht noch Personal. Voraussetzung: „Bock auf Kneipe“.

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute-c.hoenicke@tagesspiegel.de