Nachbarschaft
Veröffentlicht am 19.07.2018 von Christian Hönicke
Jörg Schwarzer ist Geschäftsführer der „Albert Schweitzer Stiftung – Wohnen & Betreuen“, die sich auf die Betreuung von geistig und seelisch beeinträchtigten Menschen fokussiert. Der 54 Jahre alte Schwarzer registriert verstärkt „Verdrängung und Ausgrenzung“ von Menschen mit Beeinträchtigungen am umkämpften Wohnungsmarkt.
Herr Schwarzer, Ihre Stiftung wurde 1997 gegründet, um das Krankenpflegeheim „Albert Schweitzer“ in Blankenburg und das Pflegeheim Buschallee zu übernehmen. Wie viele Standorte haben Sie heute? Aktuell über 20 im Berliner Nordosten, fast alle im Bezirk Pankow. Unser Hauptsitz mit den meisten Einrichtungen ist in Blankenburg. Wir bieten Menschen mit Pflegebedarf und mit geistiger oder seelischer Beeinträchtigung vielfältige Wohn- und Betreuungsangebote. Dabei ist uns ganz besonders wichtig, ein Teil des uns umgebenden Kiezes zu sein.
Wie vernetzen Sie sich mit der Nachbarschaft? Zum Beispiel mit unseren alljährlichen Festen und unserer für alle offenen parkähnlichen Anlage in Blankenburg. Die Stiftung beteiligt sich auch aktiv an Bürgerforen, etwa am Runden Tisch Blankenburg und der Kiezrunde Niederschönhausen. Dazu kommen Ausstellungen, Kooperationen mit Schulen und Kitas sowie die Mitarbeit in vielfältigen Inklusionsprojekten im Stadtteil.
Sie planen den Aufbau weiterer Einrichtungen. Wie geht es damit voran? In der Klothildestraße nahe des Schlossparks entsteht gerade ein neues fünfstöckiges Hau für 32 BewohnerInnen. Im Dachgeschoss ist zudem eine Wohngemeinschaft vorgesehen. Der Einzug ist Anfang 2019 geplant. Beim geplanten Umbau des ehemaligen Ärztehauses in der Berliner Straße 42 an der Ecke Maximilianstraße wurde eine erste Bauvorabfrage negativ beschieden. Wir hoffen aber, noch 2019 einen Bauantrag stellen zu können. In dem Gebäude wollen wir sowohl ambulante als auch stationäre Wohn- und Betreuungsangebote etablieren. Zunächst soll zeitnah aus Sicherheitsgründen das nicht mehr erhaltenswerte Gebäude Berliner Straße 43 abgerissen werden.
Was sind davon abgesehen Ihre größten Herausforderungen? Ich sehe zwei: Erstens den Wohnungsmarkt. Für viele unserer NutzerInnen ist es zunehmend schwieriger, geeigneten und bezahlbaren Wohnraum zu finden. Anstatt Menschen mit Beeinträchtigungen besser zu integrieren, geht die Entwicklung derzeit leider in eine andere Richtung: hin zu Ausgrenzung und Verdrängung. Wir als Stiftung haben leider nur sehr geringe Möglichkeiten, dieser Entwicklung entgegenzuwirken.
Wie zeigt sich diese Verdrängung in der Praxis? Es war auch in der Vergangenheit sehr schwierig, für Menschen mit geistiger oder seelischer Beeinträchtigung eine eigene Wohnung zu finden. Deshalb haben viele soziale Träger, auch unsere Stiftung, Wohnraum angemietet und vermieten ihn an die Klienten weiter, die dort in Wohngemeinschaften oder im betreuten Einzelwohnen leben. Durch die Rechtsprechung werden die Mietverträge der Träger als Gewerbemietverträge klassifiziert und unterliegen damit nicht den Schutzbestimmungen für Wohnungsmietverträge. Gerade in letzter Zeit kommt es gehäuft zu Kündigungen von Trägerwohnungen.
Haben Sie ein aktuelles Beispiel? Ja. Der Mietvertrag in der Rennbahnstraße wurde zum Jahresende gekündigt. Hier leben seit Jahren fünf Menschen mit geistiger Beeinträchtigung in einer WG, gut in den Kiez integriert. Der private Vermieter will die monatliche Kaltmiete mit einem Schlag von 7,05 Euro auf 12,50 Euro pro Quadratmeter erhöhen. Damit wären die Mietkosten für die Klienten so hoch, dass sie nicht mehr vom Sozialleistungsträger übernommen werden. Die Stiftung versucht, Alternativen zu finden, ist aber noch nicht fündig geworden.
Und die zweite große Herausforderung? Ist die Situation am Arbeitsmarkt. Es ist zunehmend schwieriger, unseren wachsenden Bedarf an qualifizierten MitarbeiterInnen zu decken. Dabei bieten wir als gemeinnütziges Unternehmen gute Arbeitsbedingungen. Zum Beispiel eine angemessene Bezahlung, die über dem Branchendurchschnitt liegt, regelmäßige Fort- und Weiterbildungsangebote sowie gesundheitsfördernde Maßnahmen und andere Zusatzleistungen. Wir arbeiten zudem intensiv daran, durch eine langfristige Dienstplanung verlässliche Grundlagen für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen.
Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute-c.hoenicke@tagesspiegel.de