Nachbarschaft

Veröffentlicht am 27.06.2019 von Björn Seeling

170 Wohnungen. Das hört sich erst einmal nicht viel an. Doch die landeseigene Gesobau will diese mitten in das 50er-Jahre Viertel an der Ossietzkystraße nahe dem Schlosspark bauen. „Die sehr großzügigen, aber wenig genutzten Freiflächen bieten sich für Nachverdichtung an“, schreibt die Gesobau dazu. Die Anwohner sehen das natürlich anders. Am Donnerstagmorgen erreichte uns der Hinweis eines Anwohners, dass der kleine Spielplatz im Viertel nun umzäunt sei, ohne Erklärung, warum. „Der Hügel und die Spielgeräte sind für Kinder nicht mehr nutzbar“, das findet der Anwohner gerade in den Sommerferien schade.

Einige Anwohner haben eine Bürgerinitiative gegründet. Ich habe mich mit Mitgliedern von „Grüner Kiez Pankow“ unterhalten. Von links nach rechts auf dem Foto: Andrea Wulff, Sonja Hartmann, Frau Angelow, Frau Konrad.

Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von dem Bauvorhaben erfuhren? „Es war ein Schock, wie ein böser Traum, aus dem man wünscht aufzuwachen. Man fühlte sich ohnmächtig. Eine Baustelle vor allen Fenstern – zusätzlich zu dem ohnehin schon die Gesundheit beeinträchtigenden Fluglärm –  das wird viele krank machen. Lebensentscheidungen der vergangenen 20 Jahre schienen plötzlich hinfällig zu sein.“

Wie wurden Sie informiert? „Durch ein Einladungsschreiben der Gesobau zu einer ‚Dialogveranstaltung‘, auf der wir über eine schon festgelegte Größe von Baukörpern abstimmen sollten. Das Schreiben lag genau eine Woche vor der Veranstaltung in meinem Postkasten, war jedoch fast eine Woche früher verfasst worden. Es stellte sich auch heraus, dass die Politik bereits seit zwei Jahren mit der Gesobau in Gesprächen ist.“

Was kritisieren Sie an den Plänen? „Die Stadt wird beliebig zubetoniert und ein gewachsenes, grünes Wohngebiet zerstört. Dies ist nicht nur in den Zeiten des Klimawandels mit gesundem Menschenverstand nicht vereinbar. Es soll hier die größte Masse an Baukörpern in den vorhandenen Raum gepresst werden, um eine maximale Anzahl an Wohnungen zu erhalten. Das Ganze zeigt eine Art Maßlosigkeit – den hier lebenden Menschen gegenüber und den früheren Stadtplanern. Diese haben doch bewusst nach dem Krieg den Menschen ein Wohnen mit Werten ermöglichen wollen. Zudem wird ein Spielplatz zerstört, den mehrere Kitas nutzen. Um die Ecke liegt, mitten im Pankower Zentrum, die Fläche einer früheren DDR-Kaufhalle brach. Seit zehn Jahren! Es gibt keine zusammenhängende Planung der benötigten Infrastruktur sowie keine städtebauliche Planung, die auch ästhetische Ansprüche hat.“

Manche könnten Ihren Protest als „Not in my Backyard“-Haltung verstehen. Was sagen Sie denen? „Diese möchten ja bestimmt auch nicht, dass ihre Kinder wieder wie im 19. Jahrhundert neben den Mülltonnen spielen müssen. Bauen ja – die Frage ist wie. Wir leben im 21. Jahrhundert, und es gibt architektonisch richtig gute Lösungen, Wohnraum zu schaffen. Man sollte weder Kosten noch Zeitaufwand scheuen, um unseren Kindern eine lebenswerte Stadt zu hinterlassen. Hier sind Grünanlagen für den Kiez. Die könnten zum Spielraum für Kitas werden oder zu Kommunikationsecken für alle Generationen oder zu Mietergärten. Warum nicht eine eingeschossige Kita bauen, ein Café oder andere Räume zum Wohlfühlen für alle?“

Was fordern Sie von der Bezirkspolitik? „Mehr Bürgernähe, mehr Möglichkeiten der Mitbestimmung. Dass wir Menschen mit unseren Bedenken in die Planungen miteinbezogen werden. Dass ein Bewusstsein entsteht, dass eine Wohnanlage, die schön ist, nicht einfach so zerstört werden darf, also ein Bewusstsein für Stadtplanung und Infrastruktur insgesamt. Es sollte bei dem Projekt die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden.“

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute-c.hoenicke@tagesspiegel.de