Nachbarschaft
Veröffentlicht am 04.07.2019 von Patricia Wolf

Neues aus Berlin-Pankow. Wo einst Bier gebraut wurde und die Kutscher ihre Pferde über das Gelände trieben, wird heute an Rollstühlen und Prothesen getüftelt. Auf dem Areal der ehemaligen Bötzow-Brauerei an der Prenzlauer Allee, zwischen Saarbrücker und Metzer Straße gelegen, hat sich Ottobock, eines der weltgrößten Unternehmen für Medizintechnik, angesiedelt. In den historischen, aufwendig restaurierten Gemäuern, in denen braunroter Backstein, Stahl und Sichtbeton dominieren, forschen die Ingenieure des Unternehmens in Loft-Atmosphäre nun an der Zukunft der Orthopädietechnik.
Und für die Zukunft des Geländes hat sich Hans Georg Näder, Chef des Unternehmens, einiges ausgedacht. So sollen neben weiteren Bürogebäuden, in denen sich Start-ups und Co-Working Spaces einmieten können, ein Wohnhaus und ein Biergarten als Anziehungspunkt für die Umgebung dienen – wie auch ein kleiner terrassierter Park, der am südlichen Ende gegenüber der Backfabrik den Zugang zum Gelände ermöglichen wird.
Die historischen Gewölbekeller, die zum Kühlen des Bieres dienten, sind ebenfalls restauriert worden – sie könnten etwa als Eventlocation genutzt werden. Und wer weiß, vielleicht wird, wie einst in den Neunziger Jahren, ein Club dort unten seine Türen öffnen.
Die Hauptstadtniederlassung von Ottobock ist vor einem Jahr von ihrem bisherigen Berliner Sitz unweit des Potsdamer Platzes an die Prenzlauer Allee gezogen. Im Frühjahr wurden die Büros im Herzstück des Areals, den historischen Bauten mitten auf dem 23000 Quadratmeter großen Gelände, in Besitz genommen. Im Laufe des kommenden Jahres sollen weitere Büros bezogen werden – mit dem Biotech-Unternehmen Sartorius wurde bereits ein wichtiger Mieter gefunden.
Die vom britischen Stararchitekten David Chipperfield, einem Meister der Verbindung von Historischem und Moderne, behutsam restaurierten Gebäude beherbergen auch die Soupe Populaire Canteen. Das Café/ Restaurant/Bar mit seinen hohen Decken und Wänden aus Backstein bietet nicht nur den hier Angestellten einen Mittagstisch, sondern will ausdrücklich für alle offen stehen. Ab 11 Uhr geht es los, etwa mit einem frisch gerösteten Kaffee, der Lunch soll nicht mehr als 10 Euro kosten. Abends kann man etwas gehobener speisen – ist aber auch nur für einen Drink auf der Terrasse willkommen.
Für die Patienten, die aus aller Welt kommen, etwa aus Kriegsgebieten, und die sich hier eine neue Prothese oder einen individuell gestalteten Rollstuhl anfertigen lassen, ist ein kleiner Patientengarten angelegt worden: Hier können sie gleich ausprobieren, ob alles funktioniert – auf unterschiedlichen Untergründen wie Kopfsteinpflaster, Rasen oder glattem Boden.
Dort, wo man früher im Biergarten mit immerhin 6000 Plätzen das in den Gewölbekellern gekühlte Bier genießen konnte, soll wieder ein Biergarten entstehen, wenn auch in deutlich kleineren Dimensionen. Auch hier zeigt sich: Man will sich nicht abschotten, sondern bewusst den Anwohnern, aber auch dem ganzen Kiez öffnen.
Investor Näder, dessen Großvater vor genau 100 Jahren das Unternehmen in Kreuzberg gegründet hatte, erwarb 2012 das Gelände. Der Stammsitz des Unternehmens bleibt weiterhin in Duderstadt bei Göttingen. Näder hatte damals den Zuschlag bekommen, nachdem die ursprünglichen Pläne des vorigen Besitzers, auf dem Gelände eine Shoppingmall zu errichten, auf Eis gelegt wurden.
Dass Näder sich das Areal der ehemaligen Bötzowbrauerei ausgeguckt hat, liegt irgendwie nahe. Wie er war auch Julius Bötzow ein Pionier auf seinem Gebiet. Der Großgrundbesitzer Bötzow hatte im März 1885 mit der Bierherstellung auf dem Windmühlenberg begonnen. Bereits ein Jahr später durfte er sich als erster Brauer im Deutschen Reich „Hoflieferant seiner Majestät des Königs von Preußen“ nennen. Bötzow war stets einer der Ersten, der Neuerungen in seiner Brauerei einführte, sie war seinerzeit die größte Berlins.
Und wo wir gerade im Historischen verweilen – bleibt noch die Frage, was aus dem Karl-Liebknecht-Denkmal wird. Über die Treppe zum Areal an der Ecke Prenzlauer Allee/ Saarbrücker Straße gibt es einen Zugang. Etwas verloren steht das Denkmal vor einem Zaun, davor liegen ein paar leere Flaschen herum. Ein paar Meter weiter befand sich damals der Biergarten, in dem im Januar 1919 der Revolutionsausschuss tagte, dem Liebknecht als Vertreter der gerade gegründeten KPD angehörte. Hier konzentrierten sich einst auch die Kämpfe während des Spartakus-Aufstands Anfang/Mitte März 1919.
In der Vergangenheit liegt immer auch ein Stück Zukunft – das passt auf diesen Ort in ganz besonderer Weise. – Text: Patricia Wolf
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