Nachbarschaft

Veröffentlicht am 01.08.2019 von Christian Hönicke

Ben ist 32 Jahre alt und lebt in Prenzlauer Berg. Aber nicht in einem schicken Altbau – er ist obdachlos. Oft sitzt er auf dem Helmholtzplatz und spielt Gitarre. Noch bis 2012 hatte er eine Wohnung im Bötzowviertel, dahin sehnt er sich zurück. Hier im Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Pankow erzählt er, wie er auf der Straße gelandet ist.

„Ich habe ein paar echt miese Tage hinter mir. Im Obdachlosenheim in der Storkower Straße haben sie mir mein ganzes Geld geklaut, dann gab es Stunk und sie haben mich rausgeschmissen. Danach habe ich wieder angefangen zu trinken. Der Anfang ist immer schwer, wenn man plötzlich auf der Straße sitzt und Unterschlupf braucht. Fast so schlimm, als wenn man zu lange auf der Straße ist. Ich bin erst einmal bei einer Freundin am Helmholtzplatz untergekommen.

Geboren bin ich in Zehlendorf, die ersten Jahre haben wir in Spandau gewohnt. Meinen leiblichen Vater kenne ich gar nicht. Nie gesehen. Ich habe damit abgeschlossen. Ich habe einen Stiefvater und zwei Halbbrüder, die er mit meiner Mutter hatte. Wir Jungs haben uns öfter gestritten. Ich glaube, dass meine Mutter insgesamt einfach überfordert war.

Irgendwann so zu Beginn der Teenagerzeit ist das dann eskaliert, da hat sie uns das erste Mal in ein Heim gegeben, nach Bernau. Das war hart, für ein Kind ist das erstmal nicht zu verstehen. Man hat uns versprochen, dass wir irgendwann wieder nach Hause dürfen. Wir hatten ein Ziel vor Augen und haben uns zusammengerissen. Ein Jahr waren wir da.

Aber zu Hause habe ich mich wieder öfter mit meinen Brüdern gezofft. Und irgendwann haben sie dann entschieden, dass ich allein ins Heim gehen soll. Ich konnte das nicht verstehen, warum ich als einziger gehen musste. Ich habe mich als Außenseiter gefühlt, abgeschoben.

Das Heim war in Oschersleben, da bin ich bis kurz vor meinem 18. Lebensjahr geblieben. An den Wochenende durfte ich nach Hause, aber ich bin meistens nur wegen meines Hundes gefahren, der noch bei meinen Eltern war. Ich mag Tiere. Meiner Mutter war eigentlich alles egal. Ich habe schon lange keinen Kontakt mehr zu ihr.

Mit 18 hatte ich endlich eine eigene Wohnung. In der Greifswalder Straße, zwischen Pasteur- und Hufelandstraße. Die habe ich selbst bezahlt. Ich habe eine Koch-Ausbildung gemacht, danach habe ich gejobbt, im Security-Bereich und so. Wenn ich länger nichts hatte, hat das Jobcenter ausgeholfen.

Ich habe da von 2005 bis 2012 gewohnt. Am liebsten würde ich dort sofort wieder hinziehen. Das ist eine schöne Gegend, man kommt überall hin. Man kennt sich – ich habe noch einige Freunde, die in Prenzlauer Berg wohnen.

In der Zeit war ich leider ziemlich gut unterwegs. Ich habe getrunken, es gab Straftaten im Suff, Prügeleien. Das meiste ging glimpflich aus, doch irgendwann habe ich die Kontrolle verloren. 2012 hat man mich eingebuchtet, für zwei Jahre. 2014 bin ich rausgekommen. Seitdem bin ich von einem Obdach ins andere überführt worden. Ich hab nie wieder eine eigene Wohnung gehabt.

Ich hab immer wieder Entwöhnungen gemacht. Irgendwann dachte ich, ich muss raus aus Berlin, die Stadt tut mir nicht gut. Ich bin nach Rügen gegangen, um in meinem Kopf klarzukommen. Ich wollte da was aufbauen. Ich war ein ganzes Jahr dort, aber im falschen Projekt. Die Einrichtung war eher für Behinderte, psychische oder körperliche. Ich habe nur Taschengeld gekriegt, 110 Euro im Monat, und mich wie gefesselt gefühlt.

Mein Mitbewohner hat irgendwann plötzlich einen Kasten Bier ins Zimmer gestellt. Zweimal habe ich geschafft, nein zu sagen. Durch eine Urinkontrolle bin ich dann aus dem Projekt rausgeflogen.

Seit zwei Jahren bin ich wieder in Berlin. Zuerst war ich in einem Projekt am Humboldthain. Die haben einem eine Wohnung gegeben, einen Sozialarbeiter und zwei Jahre Zeit, seinen Arsch zu bewegen und sich eine eigene Wohnung zu suchen. Doch es gab Probleme, wir haben Gras geraucht. Obwohl ich nicht der einzige war, habe nur ich die Kündigung gekriegt. Ich fand das unfair. Ich habe mich richtig volllaufen lassen und bin wieder ausgerastet.

Da stand ich auf der Straße, so richtig. Keine Perspektive mehr. Ich bin anfangs noch bei ein paar Freunden untergekommen, aber ein Kumpel hat mich letztes Jahr vor Weihnachten rausgeworfen. Ich war gerade wieder auf Entgiftung und bin dann natürlich wieder rückfällig geworden.

Anfang des Jahres bin ich dann ins Obdachlosenheim Storkower Straße. Das ist vom Haus her das beste in ganz Berlin, dem kann man eine glatte Eins geben. Ich hatte mein eigenes Zimmer, abschließbar, so zehn Quadratmeter groß. Nur zwei Leute teilen sich einen kleinen Flur plus Bad. Die meisten Obdachlosenheime haben Doppel- oder Viererzimmer. Da wird natürlich ständig geklaut, irgendwann kann man keinem Menschen mehr vertrauen.

Ich habe gesagt: Hier fange ich mich. Ich bin zweimal auf Entgiftung gegangen und wollte die Wohnungssuche starten. Ich sollte mit einer Maßnahme vom Jobcenter langsam wieder in ein normales Leben reinkommen. Doch als ich irgendwann in mein Zimmer kam, war mein ganzes Geld weg. Ich habe mich natürlich aufgeregt. Die meinten, ich war zu aggressiv, die Mitarbeiter hätten Angst gehabt. Aus meiner Sicht war das im Rahmen. Danach habe ich wieder massiv angefangen zu trinken.

Jetzt komme ich bei Freunden unter. Manchmal finde ich auch keinen Schlafplatz. Dann laufe ich die ganze Nacht durch, bis ich wieder einen Anlaufpunkt habe. Hin und wieder liege ich auch mal in einem Hauseingang. Aber das ist echt hart und anstrengend. Meine Hündin ist bei einem guten Freund untergekommen. Die ist schon uralt, die würde die Hitze auf der Straße gar nicht mehr vertragen.

Mein einziger Begleiter ist meine Akustikgitarre. Wenn ich schlechte Gedanken haben, setze ich mich in eine Ecke, spiele ein Lied und komme wieder runter. Das ist für mich Hobby und Beruf.  Ich will einer der besten Gitarristen werden und meinen Spaß teilen. Ich bringe mir das selbst bei und manche sagen, ich spiele ziemlich gut. Zurzeit lerne ich Klassik, „Für Elise“ und „Schwanensee“. Ich will von der Klassik zu Blues, Jazz und Reggae kommen.

Wenn ich S-Bahn oder Tram fahre, spiele ich einfach so. Aus Spaß, um die Zeit totzuschlagen. Oft sitze ich auf dem Helmholtzplatz und spiele, da sind auch viele Eltern mit Kindern, denen gefällt das. Ich kenne auch die anderen Leute auf dem Platz, von denen kriege ich auch mal ein Bier. Ich spiele auch am Forcki oder im Friedrichshain.

Eigentlich frage ich dabei nicht nach Geld, manche geben trotzdem was. Seitdem ich richtig obdachlos bin, muss ich auch sehen, wie ich an Geld komme. Aber Gitarre alleine und ohne Gesang ist schwierig. Und die Konkurrenz an Straßenmusikern ist ziemlich groß geworden.

Ich habe ab und zu Kontakt mit meinem Stiefvater. Ich sehe ihn als meinen Vater an. Ein, zwei Mal im Jahr telefoniere ich mit meinem mittleren Bruder. Aber ich weiß, dass ich da keine Hilfe kriegen kann. Ich habe schon mal bei meinem Vater gewohnt, da gab es nach drei Tagen Stress. Man kennt sich zu gut und hängt sich zu schnell auf der Pelle.

Ich will endlich wieder ein eigenes Leben führen und nicht ständig von anderen Leuten herumkommandiert werden. Man muss immer um Erlaubnis fragen, sogar wenn man im Heim mal Besuch empfangen will. Ich brauche eine eigene Wohnung, eine WG wäre auch okay. Ich habe das Gefühl, es dreht es sich sonst nur im Kreis und ich lande immer wieder auf der Straße.

Ich will auch wieder eine Reha machen. Danach kann man gucken, ob ich auch eine Psychotherapie brauche. Vielleicht muss ich mal über meine Probleme reden. Mir ist schon klar, dass ich viele habe. Aber ich muss damit irgendwann allein klar kommen, sonst komme ich nie aus der ganzen Scheiße raus.“

Wenn Sie Ben helfen möchten, schicken Sie uns einfach eine E-Mail: leute-c.hoenicke@tagesspiegel.de – Text: Christian Hönicke
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Diesen Text haben wir als Leseprobe dem neuen Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Pankow entnommen. Den – kompletten – Pankow-Newsletter, den wir Ihnen einmal pro Woche kompakt mailen, gibt es ganz unkompliziert und kostenlos hier: leute.tagesspiegel.de