Nachbarschaft
Veröffentlicht am 07.05.2020 von Christian Hönicke

Juliane Bartel ist die Vorsitzende des Bezirkselternausschusses in Pankow. Sie fordert die Politik und besonders Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) auf, ein tragfähiges Konzept für Schule und Betreuung von jungen Kindern während der Pandemie zu erarbeiten. „Das werden die Eltern in der jetzigen Form nicht durchhalten können“, sagt sie.
In einer Studie der Vodafone-Stiftung (ja, die gibt’s) gaben zwei Drittel der Lehrerinnen und Lehrer an, ihre Schule habe kein Gesamtkonzept für den Fernunterricht. Nur einem Drittel der Lehrkräfte gelingt es in der Krise, Kontakt zu all ihren Schülerinnen und Schülern zu halten. Das muss sich schnellstens ändern, fordert Bartel.
Frau Bartel, wie läuft das Homeschooling nach Ihrer Erfahrung bisher? Den Begriff benutzen wir nicht. Homeschooling ist in Deutschland gesetzlich verboten. Es geht um Fernunterricht.
Wo ist der Unterschied? Beim Homeschooling wird die Verantwortung den Eltern übertragen, beim Fernunterricht liegt sie weiterhin bei den Lehrerinnen und Lehrern. Die Eltern können begleiten und unterstützen und teilweise auch mal ein bisschen was übernehmen. Aber sie können nicht den Job der Schule machen.
Also: Wie läuft der Fernunterricht in Pankow? Es gibt eine sehr große Bandbreite zwischen den Schulen, gerade bei der Nutzung der digitalen Medien. Das ist teilweise sogar schulintern unterschiedlich. Manche Eltern kriegen von ihren Schulen umfangreiche Wochenpläne, die nicht zu schaffen sind. An anderen Schulen kommen Aufgaben per Post, anderswo gar nicht. Auch die Ausstattung zu Hause variiert.
Das hat Ihre Umfrage ergeben. Ja, sie hat gezeigt, dass gerade Eltern mit mehreren Kindern sehr herausgefordert sind. In etwa einem Drittel der Pankower Familien mit mehreren Kindern müssen sich die Geschwister einen Rechner teilen, natürlich führt das zu Streit, wer wann wie lange an den Rechner darf. 27 Prozent der Eltern haben keinen Drucker, da wird das dann von den Nachbarn ausgedruckt. Andere haben die technischen Möglichkeiten und machen einmal am Tag eine halbstündige Videokonferenz. Da geht es kreuz und quer. Vor allem die Förderkinder fallen in dieser Situation hinten runter – das ist besonders dramatisch.
An welchen Schulen hakt es besonders? An den Grundschulen. Ein extrem schwieriger Bereich ist gerade die Schulanfangsphase. Da habe ich noch überhaupt kein Konzept gesehen, wie das per Fernunterricht funktionieren soll. Dazu kommt, dass die Grundschulen nach unserer Erfahrungen im digitalen Bereich generell nicht gut aufgestellt sind.
Woran machen Sie das fest? Es fehlt teilweise an den absoluten Grundlagen. Es fängt damit an, wie man sich kontaktiert. Schon vor einem Jahr haben wir mit einer Umfrage festgestellt, dass die meisten Grundschulen nicht mal eine Website haben, um wenigstens einseitig kommunizieren zu können. Das lief bisher oft über Zettelmitgeben und Einträge in die Hausaufgabenhefte, manchmal über Anrufe. An Oberschulen haben die Lehrer Dienstmailadresse, es gibt Mailverteiler. Da ist die E-Mail das Grundkommunikationsmittel, auf das man aufbauen kann. Das fehlt an den Grundschulen größtenteils. Es wäre gut, wenn das nun ein wenig besser würde. Allerdings braucht man dafür auch eine gewisse Nettiquette, damit alle Beteiligten die Regeln der Mailkommunikation kennen.
Verschärft die Krise Probleme, die schon vorher da waren? Ja. In Pankow war das Schulsystem sowieso schon an der Wasserkante. In den letzten zehn Jahren wurden die Klassen einfach nur vollgestopft. Dass das mit der Schulplatzknappheit und der fehlenden Ausstattung noch lief, lag nur am Goodwill aller. Jetzt merkt man, dass das alles zusammenfällt. Gerade der Platz- und Lehrermangel werden nun zum Riesenproblem. Auch die notwendigen Hygienemaßnahmen sind kaum umsetzbar. Die Frage ist, wie viele Kinder unter den neuen Bedingungen tatsächlich wieder in die Schule gehen können.
Es ist zumindest vorgesehen, dass alle Klassen bis zum Ende des Schuljahres wenigstens einmal in die Schule kommen sollen. Ein richtiger oder riskanter Plan? Eine sehr schwierige Frage. Der Kontakt muss schon hergestellt werden, natürlich unter den gegebenen Voraussetzungen.
Sollten bezirkliche Gebäude zu Schulen umgenutzt werden, um die Platzknappheit aufzulösen? Der Schulstadtrat ist schon kreativ, auch weil er für die Bezirksbauten zuständig ist. Aber so viele Möglichkeiten bei den Gebäuden gibt es da nicht, das wissen wir leider schon.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit Schulamt und Schulstadtrat Torsten Kühne? Die funktioniert größtenteils gut. Der Bezirkselternausschuss tagt monatlich, der Stadtrat nimmt immer teil und steht auch immer für Fragen zur Verfügung.
Kühne sagt, normaler Schulunterricht werde eine lange Zeit illusorisch bleiben. Also müssen sich Eltern dauerhaft auf eine Karriere als Aushilfslehrer einstellen? Es geht ja nicht nur um den Schulanteil. Es entfällt ja auch der Betreuungsanteil für Grundschul- und Kitakinder, den die Eltern brauchen, um ihrer normalen Arbeit nachgehen zu können. Es wird ein Riesenproblem, für diesen Altersbereich dauerhaft Fernunterricht durchzuführen. Das werden die Eltern in der jetzigen Form nicht durchhalten können.
Was muss die Politik tun, um die Eltern zu entlasten? Die Politik muss umsetzbare Konzepte entwickeln. Das Betreuungsproblem für Grundschul- und Kitakinder muss darin mit höchster Priorität angegangen werden. Und es braucht einheitliche Rahmenbedingungen für den Fernunterricht. Die Eltern wünschen sich Strukturen und ein paar Grundregeln, die von allen Schulen gleichermaßen eingehalten werden. Man kann das alles nicht einfach von oben nach unten durchreichen und die Schulleitungen und Eltern damit allein lassen. Dass man sich hier Gedanken macht, dass die Senatsverwaltung Arbeitsgruppen einrichtet, das vermissen wir bisher. Wir schlagen eine Art virtuellen Runden Bildungstisch vor, der kreative Ansätze entwickelt. / Foto: privat – Text: Christian Hönicke
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