Nachbarschaft

Veröffentlicht am 09.07.2020 von Christian Hönicke

Sören Bergmann ist Diplom-Ingenieur, 38 Jahre alt und lebt in Prenzlauer Berg. Wir haben hier vor kurzem über seine Studie zur autozentrierten Verteilung des öffentlichen Straßenraums im Gleimviertel berichtet. (Die Studie kann man übrigens auf dieser Seite abrufen: www.prenzlverkehr.de)

Nun hat Bergmann noch einmal nachgelegt und sich gleich ganz Prenzlauer Berg vorgenommen. Die wichtigste Zahl: Im kompletten Ortsteil gibt es laut einer vom Bezirksamt beauftragten Studie 19.091 Auto-Parkplätze im öffentlichen Raum. Das macht bei 13 Quadratmetern pro Stellplatz knapp 250.000 Quadratmeter. „Dies entspricht ziemlich genau der Größe des Thälmann-Parks oder des Jahn-Sportparks“, sagt Bergmann. Ein ganzer Park – nur für Autos.

Damit stelle das Bezirksamt in Prenzlauer Berg „einen bedeutenden Teil (etwa 21 Prozent der öffentlichen Verkehrsfläche) den Autobesitzern zur Verfügung, damit sie ihr privates Fahrzeug abstellen können, rechnet Bergmann vor. „Die Gemeinschaft nimmt dabei Einschränkungen ihrer Grundbedürfnisse wie unbehinderte Mobilität, Sicherheit für Leib und Leben und anderes in Kauf.“

Diese solidarische Handlung sei „erst einmal positiv zu bewerten, da private Kfz für einige Haushalte und besondere Berufsgruppen durchaus eine große Erleichterung darstellen können“. Doch die Verteilung der Parkplätze erfolge höchst unsolidarisch und „nach einer Art ‚Wild-West-Prinzip'“: „Jeder der möchte, bekommt einen Anwohnerparkausweis, auch wenn die Zahl der ausgegebenen Parkausweise die Anzahl der Stellplätze überschreitet.“

Während für alle anderen Leistungen der öffentlichen Hand Bedingungen erfüllt werden müssten, gebe es keinerlei Kriterien bei der Ausgabe von Anwohnerparkausweisen. „Das ist ein sehr strittiges Thema und bedarf einer sorgfältigen Abwägung“, sagt Bergmann. „Als leicht überprüfbare Kriterien ließen sich zum Beispiel geringer Flächenverbrauch und Leistung von Kfz als Positiv-Kriterien für einen Anwohnerparkausweis überlegen.“ Auch soziale Kriterien, vergleichbar wie bei der Vergabe von WBS, Elterngeld oder Bafög, ließen sich denken. „Um den Mehraufwand für das Amt zu kompensieren könnte man die Gültigkeit der Ausweise verlängern und den Aufwand bei der Prüfung anderer Vorgänge reduzieren.“

Noch solidarischer für alle wäre es laut Bergmann, sich zunächst einmal tatsächlich den zur Verfügung stehenden Platz anzusehen, um dann zu überlegen, wie er gerecht verteilt werden könne. „Würde man die gesamte öffentliche Verkehrsfläche in Prenzlauer Berg in kleine Parzellen aufteilen, würde jeder Anwohner 9,3 Quadratmeter bzw. jeder Haushalt 16,7 Quadratmeter bekommen. Wenn man die Fläche aller Parkplätze gerecht verteilen würde, bekäme jeder Anwohner 2,4 Quadratmeter bzw. jeder Haushalt 4,4  Quadratmeter.“

Im neuen Mobilitätsgesetz heißt es zwar in Paragraf 4, Absatz 3: Durch die Gestaltung der Verkehrsinfrastruktur und durch möglichst geringe Rauminanspruchnahme des fließenden und ruhenden Verkehrs solle die Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raums und die Lebensqualität in der Stadt verbessert werden. Doch im gesamten Mobilitätsbericht 2017 finde man eine wirklich datenbasierte Betrachtung nicht ein einziges Mal, so Bergmann. „In meinen Recherchen habe ich so gut wie keine aufbereiteten oder gar publizierten Daten zu den realen Flächenverhältnissen gefunden.“

Wenn Berlin die Mobilitätswende ernst nehme, müsse sich das ändern, so Bergmann. „Im Stadtentwicklungsplan Verkehr 2025 werden mehr Verweilflächen, Lieferzonen und Fahrradwege angekündigt. Ich würde mir wünschen, dass das Land Berlin mal klar vorgibt, welche Flächen denn dafür umgewandelt werden sollen.“ Wenn das auch Pkw-Stellplätze seien, was naheliegend wäre, müsse man Autohaltern die Chance geben, sich darauf einzustellen. „Viele von Ihnen können ja den Pkw nur nutzen, weil ihnen öffentlicher Raum zum Parken jahrzehntelang angeboten wurde, und das auch noch nahezu kostenfrei.“ Mit genügend Zeit könne man sich dann auf Alternativen zum Auto einstellen oder einen privaten Stellplatz suchen. Wenn man die Verkehrswende wolle, „können nicht einfach alle so weitermachen wie bisher“ / – Text: Christian Hönicke / Foto: privat

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