Nachbarschaft

Veröffentlicht am 19.08.2021 von Christian Hönicke

Zivilen Ungehorsam mit Pinsel und Farbe haben Anwohnerinnen und Anwohner des Viertels um die Vinetastraße vor wenigen Tagen geübt. Sie malten eigenhändig „Gehwegvorstreckungen“ auf die Straße, um gegen den zunehmenden Durchgangsverkehr zu protestieren und die Sicherheit für Fußgänger zu verbessern. Ort des Aufbegehrens war eine Kita an der Kreuzung Schonensche/Trelleborger Straße.

„Seit Jahren setzen wir uns für eine sichere Verkehrssituation im Vinetakiez ein“, sagt Anwohner Richard Mächtel. Bereits seit Anfang 2020 liege das Verkehrskonzept für einen „Kiezblock“ der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) vor, der den Durchgangsverkehr einbremsen soll – etwa durch „Diagonalsperren“ über Kreuzungen. Passiert sei nichts.

Es gibt sogar einen konkreten Beschluss der BVV von 2017, alle Kreuzungen im Viertel zwischen Wisbyer Straße, Schönhauser Allee/Berliner Straße, Elsa-Brändström-Straße und Prenzlauer Promenade mit markierten Gehwegvorstreckungen zu versehen und bei Bedarf mit Pollern zu schützen. „Der Beschluss wird vom Bezirksamt seit vier Jahren einfach liegen gelassen“, kritisiert Mächtel.

Es müsse etwas geschehen, denn der  Kiez werde immer gefährlicher. Abkürzungen zur Umfahrung der Staus auf den umliegenden Hauptstraßen führten dazu, dass der Vinetakiez immer stärker und rücksichtsloser durchfahren wird. Mächtel: „Daher fordern wir endlich die Umsetzung des Vineta-Kiezblocks.“ So würde der Kfz-Verkehr auf Anlieger beschränkt. Im nächsten Schritt wollen die Anwohner 1.000 Unterschriften im Vinetaviertel sammeln, um einen Einwohnerantrag in der BVV zu stellen.

Bis dahin soll nun die Mal-Aktion zumindest etwas Entspannung bringen. „Wir wollten und konnten einfach nicht länger abwarten“, sagt Mächtel. „Wir haben die sogenannten Gehwegvorstreckungen aus Verzweiflung einfach selbst mit weißer Wandfarbe auf den Asphalt gemalt.“

Unterstützung bekam die Guerrilla-Aktion von „Changing Cities“. Dies sei eine „wirkungsvolle Selbsthilfemaßnahme“, erklärte Sprecher Tobias Kraudzun. „Sie demonstriert, dass kleine Verbesserungen einfach und kostengünstig zu haben sind.“ Es könne nicht sein, dass ein Auftrag der BVV für die Verbesserung der Sicherheit ungeschützter Verkehrsteilnehmer einfach vier Jahre im Bezirksamt unbearbeitet bleibe.

Das Bezirksamt weist die Kritik zurück. Zuständig ist die Straßenverkehrsbehörde von Stadtrat Vollrad Kuhn (Grüne). Der „Kiezblock“ sei gemeinsam mit 18 anderen Vorschlägen im Bezirk eingereicht worden, erklärt Kuhn. „Er  wurde von unseren Experten nach verschiedenen objektiven Kriterien bewertet und landete immer im hinteren Drittel der Rankingliste“, so Kuhn. Der BVV-Verkehrsausschuss habe sich Ende 2020 „für die prioritäre Umsetzung“ von Kiezblocks für das Komponistenviertel in Weißensee und den Arnimplatz in Prenzlauer Berg entschieden. „Die schrittweise Planung und Umsetzung der Projekte läuft bereits“, sagt Kuhn.

Wann dann der Vinetakiez dran ist, „kann gegenwärtig nicht beantwortet werden“, sagt Kuhn, „zumal auch für die zügige Umsetzung der anderen Vorschläge bis auf weiteres keine Ressourcen vorhanden sind“. Immerhin werde die neue „Radverkehrsanlage“ auf der Neumannstraße bald kommen. Der erste Bauabschnitt zwischen Wisbyer und Binzstraße mit einem geschützten Radstreifen und Fußgängerüberweg soll Anfang 2022 starten.

Die Gehweg-Verbreiterung wird also temporär bleiben. Die Aktion habe viel spontanen Zuspruch erhalten, sagt Anwohner Richard Mächtel. „Eltern, die ihre Kinder von der Kita abholten, sowie unzählige Anwohner und Passanten sprachen uns an und fragten, wie sie unterstützen können.“

Nur ein „besorgter Bürger“ habe das Ordnungsamt und die Polizei verständigt. „Ob und welche Konsequenzen die Aktion für uns Asphalt-Maler hat, ist noch unklar. Wir hoffen auf einen milden Umgang und Verständnis für unsere Verzweiflungstat.“

Die Mal-Aktion werde keine rechtlichen Folgen haben, versichert Stadtrat Kuhn. „Wir als Straßenbaulastträger erstatten keine Anzeige.“ Und die Polizei habe nicht beobachten können, wer wann die Markierungen angebracht habe. „Die Anwohner haben mit keinen Konsequenzen zu rechnen.“ – Foto: privat

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