Nachbarschaft

Veröffentlicht am 25.11.2021 von Christian Hönicke

Melanie Spindler gastiert zur Zeit mit dem Circus Berolina in Prenzlauer Berg. Im Interview spricht sie über Impf- und Zukunftsängste.

Frau Spindler, wie lange sind Sie schon beim Zirkus? Wir sind eine alte Zirkusfamilie, ich bin hier im Zirkus aufgewachsen und jetzt 30 Jahre dabei.

Haben Sie schon einmal eine ähnlich schwere Zeit erlebt wie jetzt in der Pandemie? Es gab schon häufiger schwierige Zeiten. Zum Beispiel, als die sogenannten Tierrechtler der Meinung waren, Zirkus mit Tieren müsste nicht mehr sein. Wir haben da ein reines Gewissen, weil wir wissen, unseren Tieren geht es gut. Aber so etwas wie Corona ist natürlich noch härter, weil uns die Hände gebunden sind. [Der Text stammt aus dem aktuellen Pankow-Newsletter. Den können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Wie gehen Sie mit der Situation um? Wir müssen uns an die Regeln halten, es hilft ja nichts. Aber wir müssen auch die Kirche ein bisschen im Dorf lassen. Man muss eine gute Regelung finden. Jetzt die Leute alle einzusperren und alles aussterben zu lassen, das kann es auch nicht sein. Gerade die Weihnachtszeit ist doch so eine schöne Zeit. Insofern wäre es schön gewesen, wenn es bei 3G geblieben wäre. Natürlich, die Inzidenzen steigen immer mehr. Aber bei 2G steigen viele potenzielle Zuschauer aus und bleiben weg. Die Menschen fühlen sich unter Druck gesetzt, weil es eben doch eine Art Impfzwang ist.

Haben Sie Verständnis für die Angst der Menschen? Ich bin keine Coronaleugnerin. Dass Corona da ist, ist uns allen bewusst. Aber man muss das Beste aus der Situation machen. Impfen ist der erste Weg, aber ich kann auch verstehen, dass viele Angst haben oder unsicher sind. Diesen Zwiespalt gab es bei uns im Zirkus auch. Wir haben auch lange gebraucht, bis wir uns impfen lassen haben. Aber aus Gründen unseres Berufes kommen wir gar nicht darum herum. Da wollten wir auf der sicheren Seite sein. Wir wurden gegen alles geimpft, warum nicht gegen Corona?

Wie sähe Ihre Idealregelung im Zirkuszelt aus? Ich finde 3G gut, so wie bisher. Viele sind geimpft, die anderen werden frisch getestet, dazu gilt natürlich die Maskenpflicht während der ganzen Show. Dagegen hat sich keiner gesträubt, das ging problemlos. Warum soll das nicht weiter machbar sein? Ich verstehe auch nicht, warum Geimpfte sich nun noch auch einmal testen lassen sollen. Man hat sich doch genau deswegen impfen lassen, um ein wenig Freiheit zurückzuerhalten und ohne großen Aufwand ins Café, Restaurant oder in eine Veranstaltung gehen zu können. Mit denen wird dann ja genauso umgegangen wie mit denen, die sich nicht impfen lassen haben.

Zirkus steht für Zauber. Herrscht bei Ihnen im Zelt angesichts der Gesamtsituation eine zauberhafte Stimmung, bei der die Probleme außen vor bleiben? Nein. Natürlich bemerken wir die Angst der Menschen. Die Angst wird ihnen ja auch ein Stückweit gemacht. Dass uns da das Publikum ausbleibt, ist nicht verwunderlich.

Wie geht es Ihnen wirtschaftlich? Es sieht schlecht aus, richtig mies. Gewinn bleibt überhaupt nicht. Wir leiden, wie die anderen Veranstalter auch. Man bekommt ja nicht irgendwo eine Stellfläche hier in Berlin oder sonst wo umsonst, das sind alles Kosten. Aber wenn man um finanzielle Hilfe anfragt, heißt es, die Mittel sind alle ausgeschöpft. Aber die Tiere müssen versorgt werden, auch unsere Kühlschränke müssen gefüllt werden. Wenn die Zuschauer ausbleiben, fragt man sich schon, wie es weitergehen soll.

Sie gastieren aktuell auf der Werneuchener Wiese am Volkspark Friedrichshain. In der Vorweihnachtszeit mitten in Berlin – eigentlich ein lukrativer Platz. Das Gastspiel hat sich kurzfristig ergeben, der Platz war verfügbar. Wir dachten uns: So kurz vor der Weihnachtszeit wollen die Menschen noch einmal was erleben. Einen vierten Lockdown, das machen die nicht mehr. Es gibt gute Regeln, und wir gehen vernünftig damit um. Aber als wir aufgebaut haben, ging der Trouble auch schon los. Dass es so schnell so krass wird, hätten wir nicht gedacht.

Sie wollen Ihre Weihnachtsshow noch bis zum 12. Dezember vorführen. Werden Sie das schaffen? Wir würden es gern durchziehen. Aber man muss sehen, ob es Sinn macht. Nicht nur bei uns, auch bei anderen springen die Menschen ab, die schon Karten für Nikolaus oder die Vorweihnachtszeit gebucht haben. Sie sagen: Wir wollen erstmal abwarten, bis sich die Lage beruhigt hat, vielleicht im nächsten Jahr. Das bekommen wir jetzt alle zu spüren.

Wird es Ihren Zirkus im nächsten Jahr überhaupt noch geben? Daran wollen wir erst einmal gar nicht denken. Für uns ist das natürlich existenzbedrohend. Wir haben allein mehrere tausend Euro Futterkosten für die Tiere im Monat. Das ist für uns eine ganz, ganz schwierige Situation. Aber Zirkusmenschen sind Stehaufmännchen, und wir haben von klein auf gelernt, dass es mit harter Arbeit und Mühe immer irgendwie weiter geht. Natürlich haben wir auch Angst und hoffen, dass das alles bald mal ein Ende hat. Aber uns bleibt gar nichts anderes übrig, als positiv zu bleiben. Es bringt ja nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. – Foto: Sven Darmer

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