Nachbarschaft

Veröffentlicht am 16.12.2021 von Christian Hönicke

Dominique Krössin (Linke) berichtet im Interview über den Start der Kinderimpfkampagne an der Schule am Senefelderplatz in Prenzlauer Berg.

Frau Krössin, wie lief der Start der Schulimpfungen in Pankow aus Ihrer Sicht? Es war Chaos, es ist richtig schiefgegangen. Um halb zwölf war ich in der Schule am Senefelderplatz, um zu sehen, wie es läuft. Als ich ankam, war eine Ärztin und ein Apotheker da, zwei Laptops, ein Scangerät und eine Kühlbox mit Impfstoff. Nichts weiter. Keine weiteren Leute, kein Equipment, kein Desinfektionsmittel – und vor allen Dingen keine Spritzen und keine Kanülen. Dafür waren die bestellten Eltern mit ihren Kindern da.

Was haben Sie getan? Wir haben angefangen, unglaublich herumzutelefonieren. Gegen halb zwei kam die Nachricht, dass vom ICC Material unterwegs sei. Anderthalb Stunden später tauchten zwei weitere Helfer auf, aber wir konnten noch immer nicht impfen. Wir haben versucht, die Eltern zu beruhigen, die termingerecht alle 15 Minuten aufliefen. Wir haben sie in die Aula geholt und Gummibärchen besorgt. Nach zwei Stunden hat eine Mutter, die offenbar Apothekerin war, sich selbst auf die Suche nach Spritzen gemacht.

Mit Erfolg? Ja, sie kam mit Kanülen und Spritzen wieder, ein bisschen wie mit Schmugglerware. Es stellte sich aber heraus, dass die für Kinder nicht verwendet werden können. Es gab viel Aufregung und Empörung vor Ort. Irgendwann hat sich so eine Art Galgenhumor entwickelt.

Wann kamen die passenden Spritzen? Um halb drei kam ein Mann, der aussah wie ein Rettungssanitäter, mit einem großen roten Rucksack. Er wurde von der Menge mit großem Applaus empfangen. Im Rucksack war das Restequipment.

Wann konnten Sie dann endlich impfen? Gegen 15 Uhr, mit mehr als drei Stunden Verspätung. Zwischendrin hat das Technische Hilfswerk die Stellwände für die Impfkabinen gebracht, aber nicht aufgebaut. Das musste der Hausmeister der Schule machen. Mich hat immer mehr ein Berlin-Gefühl beschlichen.

Wie meinen Sie das? Ich bin sonst kein Freund von Klischees. Aber dass so viele wichtige Sachen schiefgehen, obwohl unfassbar viele Leute vorher organisiert haben und gesagt haben: Das wird schon. Das hat mich an das BER-Chaos zum Ferienbeginn erinnert. Das war doch alles abzusehen. Wir hatten vorher zwei Schaltkonferenzen mit der Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci und ihrem Staatssekretär Martin Matz, in denen alle Stadträtinnen viel gesagt und um viel gebeten haben. Uns wurde das Gefühl vermittelt, dass wir hysterische Fragen stellen. Und dann passiert es eben doch so, wie so oft in Berlin ist, dass es schief geht, obwohl die Verantwortlichen vorher behauptet haben, es sei alles unter Kontrolle. Das ist einfach katastrophal, wenn diese ganze Aktion nur durch zwei Menschen gerettet werden kann, die gar nicht zuständig sind.

Wer war das? Die Schulleiterin und ich. Wir haben bis 18.30 Uhr das Chaos vor Ort organisiert. Ich habe alle meine Termine verschoben, und wir beide haben dann die Logistik orchestriert. Die Ärztin hat geimpft, der Apotheker hat die Spritzen aufgezogen, die beiden Helfer haben dokumentiert und wir beide haben die Massen dirigiert. Was wäre wohl passiert, wenn ich nicht dagewesen wäre?

Was lief noch schief? Ich habe vorher gesagt, dass wir gern die Buchungsdaten hätten, um zu wissen, wie viele Kinder überhaupt kommen. Ist ausgebucht oder sollen wir noch mehr Werbung machen? Das kam aber erst am späten Nachmittag, als es nichts mehr nutzte. So etwas muss man vorher für die Planung vor Ort wissen. Wir machen ganz viel möglich, aber dann muss auch gut organisiert und koordiniert werden von denen, die die Verantwortung dafür haben. Damit wie versprochen auch um 12.30 Uhr ein komplettes Impfteam vor Ort ist.

Wer genau ist denn verantwortlich? Die Gesundheitsverwaltung, denke ich, in enger Abstimmung mit dem Technischen Hilfswerk und dem Deutschen Roten Kreuz in unserem Fall. Aber auf keinen Fall die Bezirke oder die Schulen. Wir haben mit den Buchungen nichts zu tun, auch nichts mit den Impfteams oder dem Impfstoff. Wir stellen nur die Räumlichkeiten. Die Arbeitsteilung ist auch sinnvoll, aber die andere Seite muss dann ihre Aufgaben auch übernehmen.

Um Kinderimpfungen gibt es weiterhin große Diskussionen. War der Fehlstart vor diesem Hintergrund besonders kontraproduktiv? Natürlich. Das sollte ein Angebot sein – und dann wird es so verbaselt. Es ist klar, dass das eine große Aufgabe ist. Es geht mir auch nicht um Schuldzuweisungen. Aber wir brauchen eine positive Fehlerkultur. Wir müssen das Feedback aufnehmen, um es ab heute und auch bei den nächsten Schulen besser zu machen.

Wie geht es nun weiter? Wir müssen uns fragen, wie wir so ein Chaos verhindern können. Am heutigen Donnerstag um zwölf Uhr geht es an der Schule weiter, bis einschließlich Sonntag. Wir haben noch immer keinen Zugriff auf die Buchungszahlen. Das ist ein wichtiger Abgleich, das müssen wir dringend abstimmen. Ab Montag soll die nächste Schule im Bezirk an den Start gehen, wir haben ja insgesamt vier vorgeschlagen. Das ist nach meiner Kenntnis jedenfalls aktuell der Stand.

Dürfen sich nur Kinder der jeweiligen Schulen impfen lassen? Oder Kinder aus dem ganzen Bezirk oder gar ganz Berlin? Das ist eine gute Frage. Es heißt, dass auch Kinder anderer Schulen zugelassen sind. Ob sich auch Kinder aus Charlottenburg hier impfen lassen dürfen oder umgedreht, das weiß ich nicht. Die ursprüngliche Logik ist nach meinem Geist, dass sich Kinder aus dem Gebiet um die Schule impfen lassen können. Ob das bei den Terminabfragen aber auch so gesteuert wird, das weiß ich nicht. Gestern waren sowohl Kinder der Schule als auch aus dem erweiterten Umfeld dabei. / Foto: Bezirksamt Pankow

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute-c.hoenicke@tagesspiegel.de