Nachbarschaft
Veröffentlicht am 01.02.2024 von Christian Hönicke
Kommt das geplante Wohnviertel auf dem Georgen-Parochial-Friedhof III in Weißensee – oder nicht? Mit Verwunderung hat der Evangelische Friedhofsverband Berlin Stadtmitte auf die neuesten Aussagen des Bezirks reagiert. „Die ursprüngliche Planung sah einen Abschluss des Bebauungsplanverfahrens im Juni 2022 vor“, sagt Verbands-Geschäftsführer Tillmann Wagner. „Bisher bleiben Bemühungen des Vorhabenträgers, Abstimmungen und Einigkeit auf allen Ebenen herzustellen, erfolglos.“
Der Friedhof befindet sich südlich der Gustav-Adolf-Straße, westlich der Kleingartenanlage „Frieden“ und nördlich der Roelckestraße. Schon 2019 hatte Pankow beschlossen, den Friedhof teilweise aufzugeben, zu entwidmen und zu bebauen. Etwa 615 bis 625 Wohnungen und eine neue Grundschule sowie eine Kita waren geplant. Der Schwerpunkt soll dabei auf „sozialorientiertem Wohnungsbau“ und einer „Bebauung mit Punkthäusern bis zu sieben Vollgeschossen“ liegen.
Nach jüngsten Stellungnahmen des Bezirks steht dem Quartier vor allem der Naturschutz im Weg. Zwar sei noch keine endgültige Entscheidung gefallen, erklärte Bezirksbaustadtrat Cornelius Bechtler (Grüne). Er sprach jedoch von „schwierigen Voraussetzungen (…) aufgrund des wertvollen Baumbestandes sowie vorgefundener schützenswerter Arten und Böden“.
Die Eingriffe in die Natur auf der parkähnlichen Anlage wären immens. Pankow müsste nach eigenen Angaben als Ausgleich eine Naturfläche von etwa 30 Hektar schaffen – das entspricht der Fläche des Schlossparks Schönhausen. Man müsse daher noch einmal „sehr genau prüfen“, ob der Friedhof wirklich für eine Bebauung geeignet sei, so Bechtler.
Die Vorbehalte der Behörden kann Tillmann Wagner nicht nachvollziehen. Die Pläne für das neue Quartier würden auf einem schon 2017 „mit dem Bezirksamt abgestimmten städtebaulichen Entwurf“ basieren. Fünf Genossenschaften sollten demnach den Wohnungsbau, eine Stiftung ein Haus für betreutes Wohnen und eine Kita realisieren. „Der Bezirk hatte von vornherein Interesse für einen Schulstandort signalisiert.“
Allen Beteiligten sei bewusst gewesen, dass die Voraussetzungen schwierig seien, sagt Wagner. Darauf sei bereits beim Entwurf eingegangen worden. „Eine Verdichtung, wie sie normalerweise bei neuen Quartieren üblich ist, war hier nicht vorgesehen.“ Es seien weit mehr Freiflächen als bei vergleichbaren Projekten eingeplant.
Wagner hinterfragt auch die „erste Schätzung“ des Bezirks, wonach etwa 30 Hektar an Ausgleichsflächen für die überbaute Natur nötig wären. „Eine prüfbare Unterlage oder vertiefte Kenntnisse wie ein Gutachten gibt es dazu nicht“, kritisiert der Geschäftsführer. „Normalerweise werden Ausgleiche nicht einfach mit einer Flächengröße ermittelt, sondern vielmehr mit Maßnahmen anhand von Ausgangs- und Zielbilanzen.“ Wagner glaubt zudem, dass sein Verband selbst Ausgleichsflächen für die Bebauung auf seinen anderen Friedhöfen schaffen kann – insgesamt besitze man etwa 236 Hektar in Berlin.
Auf Konfrontationskurs geht der Geschäftsführer auch zum Berliner Sachverständigenbeirat für Naturschutz und Landschaftspflege. Dieser empfiehlt in seinem jüngsten Beschluss, stadtweit „grundsätzlich auf die Bebauung von Friedhofsflächen zu verzichten“. Stattdessen sollen nicht mehr benötigte Friedhöfe aufgrund der außergewöhnlich schützenswerten Natur idealerweise vom Land Berlin angekauft werden, um sie als Natur- und Erholungsflächen zu erhalten.
Mit dem Beschluss des Sachverständigenbeirats „werden Planungen, die bereits seit Jahren bearbeitet werden, verhindert und keinerlei Lösungen aufgezeigt“, kontert Wagner. „Die dem zugrunde liegende Studie ist dem Friedhofsträger trotz mehrfacher Anfrage bisher nicht bekannt.“
Vielmehr hält Wagner die Bebauung des Weißenseer Friedhofs in Anbetracht des angespannten Wohnungsmarktes für „von gesamtstädtischem Interesse“. Er wünscht sich Unterstützung von der Landesebene für das Projekt: „Hier könnte sogar der Senat oder die Wohnungsbauleitstelle tätig werden.“
Dem Verband sei die „Hochwertigkeit“ der Natur auf seinen Friedhöfen bewusst, sagt Wagner. Doch die Unterhaltung dieser Flächen sei teuer und nicht finanzierbar. Die öffentliche Hand stelle für die Erhaltung konfessioneller Friedhöfe „keine ausreichenden Mittel“ zur Verfügung. Deshalb habe der Senat 2006 im „Friedhofsentwicklungsplan“ (FEP) Flächen ausgewiesen, die für „sonstige Nutzungen“ wie auch eine Bebauung zur Verfügung stehen.
„Um die finanzielle Situation zu entspannen, sollen Teilflächen in eine bauliche Nutzung überführt werden“, sagt Wagner. Mit dem so generierten Geld sollen dann die verbleibenden Friedhöfe und Flächen für die Zukunft gesichert werden. – Foto: Imago/Viviane Wild