Intro
von Lisa Erzsa Weil
Veröffentlicht am 13.02.2023
die Wiederholungswahl ist im Kasten, die Stimmbezirke sind ausgezählt – in Reinickendorf waren es ganze 243. Und bei uns, im traditionell schwarzen Bezirk Reinickendorf, heißt es nun: zurück zu den christdemokratischen Wurzeln. Denn die CDU konnte sowohl die Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung (BVV) als auch die zum Abgeordnetenhaus (AGH) ganz klar für sich entscheiden.
In allen sechs Wahlkreisen verfügen die Christdemokraten jetzt über eine Erststimmenmehrheit. Und auch bei der BVV-Wahl lag die CDU weit vor der SPD. Einzig in Reinickendorf-Ost leuchten zwei kleine Stimmbezirke rot: Dort konnte die SPD eine relative Stimmenmehrheit von 28,5 bzw. 27 Prozent holen.
Der Berliner Landestrend zeigt sich insgesamt auch bei uns im Kleinen: Die Vorsprünge zur zweitplatzierten SPD sind groß. Und obgleich der Stimmenverlust für die Sozialdemokraten in vielen Fällen nicht kolossal ist, ist der Zuwachs für die CDU seit der letzten Wahl dagegen riesig. Das Vertrauen in die Christdemokraten scheint seit den für ungültig erklärten Wahlen 2021 somit auch im Bezirk stark gestiegen zu sein.
Grund zur Freude also bei der CDU: „Wir sind überwältigt, glücklich und dankbar“, schreibt beispielsweise die Bezirksverordnete Klaudyna Droske auf Twitter und gratuliert zugleich Burkard Dregger zum Einzug ins Abgeordnetenhaus für den Wahlkreis 1, wo er sich gegen Bettina König (SPD), durchsetzen konnte. „Wir sind hochzufrieden“, sagt Frank Balzer (CDU), Ex-Bezirksbürgermeister, Mitglied des Abgeordnetenhauses und Kreisvorsitzender der CDU Reinickendorf.
Den Vorsitzenden der CDU-BVV-Fraktion, Marvin Schulz, erwischte der Tagesspiegel gerade auf der Leiter beim Abmontieren der Wahlplakate: „Das Ergebnis könnte eindeutiger kaum sein“, sagte er am Telefon. Die Reinickendorfer sehen die CDU in der Regierungsverantwortung und wollen den Bezirk wieder in gute Hände geben.“
Für die Wahlverlierer:innen beginnt dagegen der Aufarbeitungsprozess. Wie soll es im seit 2021 SPD-geführten Bezirk weitergehen? Die Reinickendorfer Ampel büßte ihre Mehrheit in der BVV ein, mit der SPD, Grüne und FDP Bezirksbürgermeister Uwe Brockhausen (SPD) stellen konnten. Der machte bei der vorigen BVV-Sitzung noch klar, auch nach der Wiederholungswahl im Amt bleiben zu wollen. Seine Stadtratskolleg:innen und er sind Wahlbeamte bis 2026 und können nur per Zweidrittelmehrheit abgewählt werden – oder per Rücktritt aus dem Amt scheiden (die Hintergründe dazu lesen Sie hier).
Das Bezirksamt habe bislang gerade von der Zusammenarbeit mehrerer Fraktionen unterschiedlicher politischer Ansätze profitiert. „Der konstruktive Austausch und das Ringen nach Lösungen nach Mehrheitsentscheidungen tun dem Bezirk gut“, befand Brockhausen.
Im Amt bleiben dürfte Brockhausen zwar aus rechtlicher Sicht, aber wird er daran auch trotz neuer Kräfteverhältnisse festhalten? Im Gespräch mit dem Tagesspiegel klingt Brockhausen noch zögerlich, blickt aber, was die weiteren Schritte angeht, bereits gen Landesebene: „Berlin hat gewählt, und die politischen Parteien sind aufgefordert, die Ergebnisse zu bewerten und Schlussfolgerungen zu ziehen. Am Tag nach der Wahl sind die konkreten Auswirkungen noch nicht absehbar, da die diesbezüglichen Gespräche zwischen den Beteiligten sowohl auf Landes- als auch auf Bezirksebene jetzt erst beginnen. Sicher scheint mir, dass ein berlinweites Herangehen an die neuen Mehrheitsverhältnisse sinnvoll ist.“
Für eine Zweidrittelmehrheit zur Abwahl reicht es auch nicht, wenn – rein theoretisch – CDU, AfD und Linke gemeinsam stimmen würden. CDU-Fraktionschef Schulz hält dieses Szenario ohnehin für unrealistisch: „Ich habe Herrn Brockhausen als seriösen Demokraten kennengelernt und bin guter Dinge, dass die Parteien dieses demokratische Ergebnis akzeptieren.“
Die neue Bezirksbürgermeisterin heißt für Schulz: CDU-Spitzenkandidatin Emine Demirbüken-Wegner, aktuell Bezirksstadträtin für Soziales und Bürgerdienste und stellvertretende Bürgermeisterin. Auch Balzer betont den Anspruch der CDU, nun die Bürgermeisterin stellen zu wollen: „Wir werden entsprechende Einladungen versenden, um mit den Kollegen von Grüne und SPD ins Gespräch zu treten und eine einvernehmliche Lösung zu finden.“
Die Fraktionsspitzen der Reinickendorfer Ampel beraten sich laut Tagesspiegel-Informationen heute Abend darüber, wie es weitergehen soll. Optimistisch und zugleich pragmatisch blicken derweil die Reinickendorfer Grünen auf den Wahlausgang. Auch nach dem Verlust der Mehrheit der Ampel-Zählgemeinschaft wolle man mit der Fraktion und Stadträtin Korinna Stephan weiter dafür arbeiten, „Reinickendorf lebenswerter und grüner zu gestalten. Dass wir trotz eines Wahlkampfs in schwierigen Zeiten geschafft haben, unser zweitbestes Ergebnis in der BVV zu erhalten, zeigt, dass wir uns als einzige Veränderungspartei in Reinickendorf als drittstärkste Kraft etabliert haben.“
Mit der Mehrheit verabschiedet man sich auch von der Zählgemeinschaft: „Wir danken der SPD und der FDP für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit in den letzten 15 Monaten und sind überzeugt, dass gemeinsame Projekte wie der grün initiierte Klimaschutzvorbehalt auch nach dem Ende der Zählgemeinschaft helfen, Reinickendorf gegen die Herausforderungen des Klimawandels zu wappnen.“ Alles Weitere würde man gemeinsam mit Fraktions- und Parteivorstand besprechen.
David Jahn ist seit 2021 Fraktionsvorsitzender der FDP, die nunmehr nur noch aus zwei Bezirksverordneten besteht und damit ihren Fraktionsstatus verliert, der erst ab drei Mitgliedern besteht. Dennoch ist Jahn froh, auch weiterhin in der BVV arbeiten zu dürfen. „Die FDP-Fraktion hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren für eine kluge Verkehrspolitik für alle, beste Bildung und eine Bauoffensive eingesetzt. Wir haben damit die Grundlage für einen starken Bezirk gelegt. Auch in den nächsten Jahren werden wir darauf achten, dass der Bezirk seiner gesamtstädtischen Verantwortung nachkommt und nicht wieder in bezirkliche Egoismen verfällt.“
Fraktionsvorsitzender und Spitzenkandidat der Linken, Felix Lederle: „Ich gratuliere der CDU zu ihrem Wahlerfolg und bedauere, dass es den Reinickendorfer Linken nicht gelungen ist, ihre gute kommunalpolitische Arbeit in der BVV stärker öffentlich bekannt zu machen, sodass wir den Fraktionsstatus und damit einhergehende parlamentarische Rechte verloren haben.“ Lederle verspricht, dass man sich auch weiterhin für sozialen Zusammenhalt, Mieterschutz und Klimaschutz einsetzen werde.
Und wie ist die Wiederholungswahl sonst verlaufen? Nun, Fehler hat es auch diesmal gegeben, doch Berlins Landeswahlleiter Stephan Bröchler zog insgesamt ein positives Fazit. Es habe nur kleinere Pannen gegeben: In einem Fall habe der Schlüssel für eine Wahlurne gefehlt. In einem Wahllokal in Mitte hat außerdem der Wahlvorstand verschlafen und musste von der Polizei geweckt werden.
Aus Reinickendorf berichtete mir eine Wahlhelferin, die im Märkischen Viertel eingesetzt war: „Alles war akribisch vorbereitet, es gab ausreichend Wahlzettel und auch Kabinen – wir waren zwölf Freiwillige, von der Abiturientin bis zur Rentner*in alles vertreten. Die meisten ‚Ins-kalte-Wasser-Springer‘ – und sicherlich auch ein bisschen motiviert durch das erhöhte Erfrischungsgeld.“
Nach einem kleinen Ansturm gleich am Morgen sei sonst alles eher schleppend, aber sehr entspannt verlaufen. „Pannen oder unangenehme Zwischenfälle gab es nicht. Interessant, dass eher ältere Menschen ihr Wahlrecht wahrgenommen haben. Lag’s an Hertha oder an allgemeiner Wahlmüdigkeit – man weiß es nicht“, rätselt die Wahlhelferin. Gefreut habe sie sich, dass auch einige wenige Jugendliche zur Stimmabgabe für die BVV erschienen sind: „Hoffentlich interessieren sich auch hier im MV künftig mehr junge Menschen für ihre Möglichkeiten, Politik ein wenig mitgestalten zu können.“
Als spannend beschreibt die Reinickendorferin dann noch die Auszählung der Stimmzettel: „Das Procedere verlief sehr gewissenhaft – größere Fehler gab es auch hier nicht. Die Wahlbeteiligung spiegelte das Ergebnis in Reinickendorf wider – so um die 55 Prozent. Und auch die Mehrheiten entsprachen den Endergebnissen für ganz Reinickendorf.“
Um 21 Uhr habe man das finale Protokoll unterzeichnen können. Fazit: „Es war ein langer und dann doch anstrengender Tag, aber alle waren sich einig: Wir werden es wieder tun!“
In diesem Newsletter, bei „Namen & Zahlen“, finden Sie nun noch kurz und kompakt weitere Ergebnisse und Meinungen zu den Berliner Wiederholungswahlen. Ich wünsche weiterhin eine gute Lektüre!
- Er war der letzte Regierende Bürgermeister der CDU – und spricht im Interview frisch und exklusiv über die Protestwahl, schwierige Koalitionen und seinen Rat für die Verhandlungen: Eberhard Diepgen auf Tagesspiegel Plus.