Namen & Neues

In Hermsdorf entsteht eine Mauer – aus Blumenkübeln

Veröffentlicht am 19.02.2020 von Gerd Appenzeller

Natürlich werden die Bewohnerinnen und Bewohner des Hermsdorfer Waldseeviertels mit Abscheu und Empörung den Verdacht zurückweisen, sie wollten in Richtung Glienicke eine Mauer errichten. Aber 30 Jahre nach dem Fall der Mauer ist den Anliegern der Schildower Straße und Umgebung der morgendliche und abendliche, geballte Berufsverkehr aus der brandenburgischen Nachbargemeinde endgültig zu viel geworden. Sie setzen einen einstimmigen Beschluss des Verkehrsausschusses der BVV durch, in dem es wörtlich heißt:

  • „Temporäre Modalfilter im Waldseeviertel und Evaluation der Auswirkungen einer Schließung. – Das Bezirksamt wird ersucht, umgehend in der Schildower Straße und gleichzeitig in der Elsestraße, jeweils am Ortsausgang, temporäre Modalfilter (z.B. in Form von massiven Blumenkübeln) zu installieren, die die Durchfahrt für motorisierte Verkehrsteilnehmer wirksam verhindern. Das Bezirksamt wird ersucht, die Auswirkungen der Schließung der Verbindungsstraßen vom Waldseeviertel in Hermsdorf nach Glienicke zu bewerten, sobald der Verkehrsfluss entlang der B96 durch verbesserte Ampelschaltungen an die neue Situation angepasst worden ist („Grüne Welle“). Die Ergebnisse der Maßnahmen werden vom Bezirksamt in einer Bürgerversammlung vorgestellt und gemeinsam ausgewertet. Dem Verkehrsausschuss ist fortlaufend zu berichten.“

Was sind denn bitte Modalfilter? Das sind Hindernisse, die Autos fernhalten, von Radfahrern und Fußgängern aber passiert werden können.

Hans G. Oberlack, der Bürgermeister von Glienicke/Nordbahn, hat darauf prompt reagiert. Wie, können Sie hier lesen:

  • „Ich finde es peinlich, dass im dreißigsten Jahr der deutschen Wiedervereinigung eine solche Diskussion geführt wird und Sperren zur Verhinderung des Verkehrs zwischen Berlin und Brandenburg aufgestellt werden sollen. Wir haben die Verkehrsbehörde unseres Landkreises informiert und ihr alle, den Fall betreffenden Unterlagen zukommen lassen. Vor der Einziehung einer Straße müssen Alternativvorschläge besprochen werden. Wir stehen für konstruktive Gespräche mit unseren Nachbarn zur Verfügung.
  • Einseitige Schritte lehnen wir ab. Mit der Etablierung des „Kiezbusses“ haben wir den öffentlichen Nahverkehr deutlich gestärkt und verfolgen mit dieser Maßnahme die Absicht, den Autoverkehr zu reduzieren. Ich finde es gut, dass der Vorsitzende der Gemeindevertretung von Glienicke dieses Thema bei der nächsten Gemeindevertretung auf die Tagesordnung setzt. Darüber hinaus bleibe ich mit der Reinickendorfer Bezirksstadträtin Katrin Schultze-Berndt weiter in regelmäßigem Austausch.“

Das wiederum brachte Karl Michael Ortmann in Harnisch. Er ist die treibende Kraft hinter der Bürgerinitiative ist, die die brandenburgischen Autos ausbremsen will. Er schrieb:

  • „Die Polemik des Bürgermeisters von Glienicke/Nordbahn ist eine Verhöhnung für all diejenigen, die unter der Trennung Deutschlands gelitten haben. Wie kann man den Fall der Mauer mit verkehrslenkenden Maßnahmen in Verbindung bringen? Seien Sie versichert, dass Passanten und Fahrradfahrer die Blumenkübel gefahrlos passieren können.
  • Es wird keinen Schießbefehl geben. Die Buslinien 806 und 809 in Glienicke sowie der Kiezbus 326 in Hermsdorf werden zurzeit kaum genutzt. Sie haben das Potential, hinreichend viele Pendler zu den S-Bahnstationen in Frohnau und Hermsdorf zu befördern. Sobald der motorisierte Durchgangsverkehr aus dem Waldseeviertel herausgefiltert worden ist, können Fahrradfahrer aus Glienicke gefahrlos auf dieser Strecke zum S-Bahnhof Hermsdorf gelangen…“

Dass man die Situation im Waldseeviertel aber auch ganz anders sehen kann, zeigt mir diese Mail von Knuth Dose, der in einer Parallelstraße zur Schildower Straße wohnt, und der vermutlich auch im Namen vieler Anwohner spricht, wenn er dies schreibt (leicht gekürzt):

  • „Sehr geehrte Damen und Herren des Verkehrsausschusses BVV Reinickendorf, ich möchte Sie bitten, Ihren Beschluss … noch einmal zu überdenken.
  • Sie wollten sicher dem Ruhebedürfnis der Anwohner von Else- und Schildower Straße Rechnung tragen, die sich lautstark zu Wort gemeldet haben. Vermutlich haben Sie nicht ausreichend in Erwägung gezogen, dass diese Sperrung jedoch gravierende Interessen und Rechte aller anderen Anwohner im gesamten „Waldseeviertel“ verletzt – darunter auch unsere.
  • Unser „Kiez“ – im Sinne des Quartiers des täglichen Lebens, Einkaufens, Freizeit – endet nicht an Landesgrenzen. Für unsere Familie gehört Glienicke zu unserem Kiez, unserer unmittelbaren leicht erreichbaren Nachbarschaft. In Glienicke kaufen wir ein, in Glienicke liegt unsere Apotheke, in Glienicke liegt der praktische „Werkmarkt“, in Glienicke gehen wir zum Klavierunterricht etc. etc., in Glienicke geht unsere Enkelin aufs Gymnasium.
  • Sie sperren nicht nur Straßen, sie zerteilen auch eine funktionierende Nachbarschaft.“ – Text: Gerd Appenzeller

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