Namen & Neues

Traumlage mit kleinen Problemen

Veröffentlicht am 10.06.2020 von Gerd Appenzeller

Die Cité Guynemer in der unmittelbaren Nähe des Noch-Flughafens Tegel könnte eine wunderbare Wohnlage sein, wenn da nicht die vermaledeite Abwasserfrage wäre. Bebaut wurde die idyllische Siedlung mit den schönen, großen, alten Bäumen in der Zeit der französischen Besatzung. Auf dieser Luftaufnahme können Sie die Siedlung nord-östlich des Flughafens sehen. Die Straßen sind privat, was man auch an den französischen Straßenschildern sieht. Vor allem aber ist die Dimension der Abwasseranlage angesichts der immer weiter wachsenden Einwohnerzahl völlig unzureichend. Mancher Hausbesitzer beklagte schon, dass bei ihm die Sch… buchstäblich im Keller steht.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Frage kein kleines Thema mehr, welche Mindestgröße ein Grundstück haben muss, damit es noch bebaut werden darf. Bislang galt, so schreibt der SPD-Abgeordnete Jörg Stroedter, dass die Mindestgröße bei 400 Quadratmetern liegt. Nun aber wurden für das Flurstück 603, es liegt im Bereich der Allée St. Exupéry, Baugenehmigungen für zwei Grundstücke mit der Größe von 296 und 386 Quadratmeter Grundfläche erteilt. Bislang aber galt dieses Flurstück, so Stroedter weiter, nicht als Bauland. Er will nun, im Namen von Grundbesitzern in der Cité Guynemer, wissen, wann dieses bisherige Parkland in Bauland umgewidmet wurde. Was nicht nur ihn an der Sache grämt: Wenn jetzt auch noch auf so kleinen Grundstücken gebaut werden darf, wird sich die Abwassersituation noch einmal dramatisch verschärfen.

„Hilfe für die betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner kann nur die öffentliche Widmung der Straßen schaffen und daran hat das Bezirksamt offensichtlich kein Interesse“, schreibt Stroedter. „Für mich ist diese Vorgehensweise des Bezirksamts und insbesondere des Bezirksbürgermeisters Frank Balzer absolut unverständlich…“

Meine Meinung: Wann dieses Flurstück vom Gartenland zu Bauland wurde, kann sicher der BVV-Ausschuss für Stadtplanung klären. Dessen Vorsitzender ist der SPD-Kommunalpolitiker Ulf Wilhelm. Dem Ausschuss muss das Bezirksamt ja Auskunft erteilen. Zu meiner Frage, ob das Bezirksamt denn überhaupt eine Baugenehmigung erteilen durfte, wenn doch die verheerende Situation bei der Abwasserentsorgung bekannt war, kam vom Bezirksamt die klare Antwort:

„Baugenehmigungen werden aufgrund planungs- und bauordnungsrechtlicher Grundlagen erteilt. Ein Grundstückseigentümer hat ein Anrecht auf solche Genehmigungen. Der Gesetzgeber hat die Bauordnung in der Vergangenheit dahingehend geändert, dass eine Überprüfung von Seiten der Behörde, ob das Grundstück ausreichend mit Medien erschlossen ist, nicht mehr erfolgt. Der Antragsteller bescheinigt die Möglichkeit des Anschlusses im Rahmen des Antrags. Damit hat es sein Bewenden. Bei dem Abwassersystem handelt es sich um ein privates Abwassersystem für das alle anliegenden Grundstückseigentümer selbst verantwortlich sind.“

Ich gebe zu, dass ich das nicht so recht glauben wollte – die Vorstellung, dass jemand ein Grundstück bebaut und nicht vorher nachweisen muss, dass er auch die Abwasserfrage geklärt hat, erschien mir abenteuerlich. Aber Stephan Natz, der Sprecher der Wasserbetriebe, hat mir diese Rechtsauffassung klar bestätigt. Er gab mir diese Auskunft:

„Das Bezirksamt hat schon recht. Denn es sagt im Prinzip, dass sich die Einwohner der Cité Guynemer an die Kanalisation anschließen müssen. Wie sie das tun, ist ihre Sache.“ Natz betont auch, dass die Sache wegen verschiedenster Eigentumsverhältnisse vertrackt sei, und fügt als Beispiel hinzu: „Auch die Übernahme der Avenue Jean Mermoz in öffentliche (Bezirks-)Hand und damit die von uns (den Wasserwerken)  für diesen Fall in Aussicht gestellte Errichtung einer funktionieren Kanalisation nebst Pumpwerk in dieser Straße würde das Problem nicht komplett lösen, sondern räumlich nur ein Stück näher an die Leute bringen, denn dann bleiben die Nebenstraßen und Wege ja immer noch privat und fallen weiter unter den vom Bezirksamt genannten Rechtsgrundsatz.“

Als Beleg dafür, dass man sich im Bezirksamt durchaus über die schwierige Situation der Anwohner klar ist, mag der Schlusssatz der Mitteilung des Bezirksamtes an mich dienen. Er lautet: „Die Problematik des Abwassersystems ist dem Bezirksamt wohl bewusst, so dass es plant, wenn es die Kontaktbeschränkung wieder zu lässt, eine Eigentümerversammlung einzuberufen.“ – Text: Gerd Appenzeller
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