Namen & Neues
Cité Guynemer: Es stinkt – in jeder Beziehung
Veröffentlicht am 24.03.2021 von André Görke
Es könnte eine so schöne Wohngegend sein, die Cité Guynemer nordöstlich des Flughafengeländes in Tegel, da, wo zuletzt der provisorische Regierungsterminal lag, wo weiter die Hubschrauber stationiert bleiben, und wo die Bundesregierung noch ein paar Millionen investieren will, weil sie die bisherigen Abfertigungsgebäude nicht mehr für renovierbar, man könnte auch sagen: nicht mehr für schick genug hält… Sie wissen nicht, wo dieses Gelände ist? Dann schauen Sie doch einfach mal auf diese Luftaufnahme.
Aber nicht um die weitere Nutzung des Hubschrauberplatzes, sondern um einen anderen Skandal geht es heute – mal wieder. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die Bima, hatte in den Jahren zwischen 2007 und 2008 die unter der französischen Ägide entstandenen Grundstücke und Straßen aus dem Bundesbesitz abgegeben.
Der einstige Erwerber ist inzwischen pleite, die heutigen Grundstücksbesitzer kamen relativ günstig an ihren Besitz. Und dies nicht, weil der Bund großzügig war, sondern weil unter der Erde eine zunehmend stinkende Last liegt: Die Kanalisation ist nicht mehr zeitgemäß, sie ist überlastet und technisch überholt. Der niedrige Kaufpreis war also ein Resultat der Tatsache, dass die Erwerber irgendwann einmal zur Kasse gebeten werden würden, wenn es um den Anschluss ihrer Grundstücke an das Abwassersystem gehen würde.
Dass da etwas nicht stimmt, bekommen die Hausbesitzer immer wieder zu spüren, gerade erst wieder vor wenigen Wochen. Da beschwerten sie sich beim SPD-Abgeordneten Jörg Stroedter, der sich seit Monaten in Gesprächen mit den Berliner Wasser-Betrieben, BWB, und der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben um eine Lösung bemüht.
Durch eigene Recherchen habe ich inzwischen herausgefunden, dass die Bima die beiden letzten Straßen, die sie besitzt, die Avenue Jean Meroz und die Rue du Commandant Jean Tulasne, an das Land Berlin verkaufen würde. Warum auf einmal? Sie wird nicht mehr für offizielle Zwecke gebraucht: Das war die so genannte Protokollstrecke, also jenes Straßenstück, das vom provisorischen Regierungsterminal zur Seidelstraße führt. Nachdem in Tegel kein Flieger mehr landen darf, ist auch kein Protokoll mehr zu beachten.
Die Berliner Wasserbetriebe ihrerseits, auch das hatten meine Recherchen ergeben, würden dann unter diesen beiden Straßen ein leistungsfähiges Abwasserkanalsystem und eine Pumpanlage bauen. In die könnten dann die Abwässer der – privaten – Seitenstraßen fließen.
Jörg Stroedter ist der Meinung, dass der Bezirk diese Straßen übernehmen solle. Das verweigert das Bezirksamt bislang, die Straßen seien nicht in einem ordnungsgemäßen Zustand. Stimmt nicht, meint Stroedter, die sehen besser aus als viele Reinickendorfer Straßen. Das fand ich eigentlich auch, fragte aber sicherheitshalber beim Bezirksamt nach. Die Antwort von dort:
„Der erste Eindruck täuscht, denn Straßen bilden sich nicht nur in der Oberfläche ab, sondern haben auch ein eindrucksvolles Leben im Untergrund. Unter den Straßenbelegen, in welchem Zustand diese sich auch immer befinden, werden alle technischen Medien verlegt. Die technischen Medien sind dabei vor allen Dingen die Frisch- und Abwassersysteme, Strom, Gas und Telekommunikation.
Das Problem der französischen Siedlungen ist, dass diese technischen Systeme sich nicht im Straßenraum befinden, sondern auf den Privatgrundstücken verlegt wurden. Dies bedeutet, dass, wenn öffentliche Straßen angelegt werden, ca. 60 % der Kosten „vergraben“ werden und nur 40 % wirklich an der Oberfläche erscheinen. Deshalb spricht man in der Cité Guynemer davon, dass die vorhandenen Straßen nicht dem Standard entsprechen“.
Und dann wird das Amt (man muss wohl sagen: der Bezirksbürgermeister) grundsätzlich:
- „Kein Berliner Bezirk wird heute noch Straßen übernehmen, wenn diese nicht dem Standard entsprechen. Stroedters Vorschläge sind unredlich, weil sie fälschlich suggerieren, der Bezirk könnte die Probleme der Anwohner lösen…
- Es ist ein mühsamer Prozess, aber es geht voran: Alle derzeitigen Gespräche mit den Berliner Wasserbetrieben (BWB), der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), einem Teil der Grundstückseigentümer und dem Bezirk Reinickendorf von Berlin verlaufen sehr konstruktiv.
- Alle Beteiligten haben den Willen, zu einer guten Lösung für alle Eigentümer und Bewohner der Siedlung zu kommen … Klar ist aber schon heute: Die aktuelle Situation der Wasserversorgung lässt sich nur dann lösen, wenn alle Eigentümer … zur Lösung beitragen …
- Ein mittelfristiges Ziel ist die öffentliche Widmung der Straßen Avenue Jean Mermoz und Rue du Commandant Jean Toulasne (Was die Bundesanstalt ja angeboten hat, D. Red). Beide Straßen lägen dann damit im Eigentum und in der Zuständigkeit des Bezirks. Die öffentliche Widmung der Straßen würde die Berliner Wasserbetriebe in die Lage versetzen, die Trink- und Abwasserleitungen sowie das Pumpwerk an der Avenue Jean Mermoz vollständig zu erneuern.
- Ihre Absicht dazu haben die Berliner Wasserbetriebe bereits bekannt gegeben. An diese Leitungen kann dann das vorhandene Netz aus dem östlichen und westlichen Teil der Siedlung angeschlossen werden (Nochmalige Anmerkung der Redaktion: Genau dies hatte ich im Newsletter zuerst berichtet).
- Bauen die Grundstückseigentümer die an die öffentlichen Straßen (Avenue Jean Meroz und Rue du Commandant Jean Tulasne) anliegenden Privatstraßen selbst, sind sie nicht an die Ausbaubestimmungen von öffentlichen Straßen gebunden, so dass die deutlich preiswerter gebaut werden können … Derzeit läuft eine Abfrage bei den Einzeleigentümern, in der sie sich bereit erklären sollen, auf ihren Grundstücken Einzelwasseruhren einzubauen. Dieser Einbau der Einzelwasseruhren ermöglicht dann eine grundstücksbezogene Abrechnung des Frisch- respektive des Abwassers… Dies erfolgt in Absprache sowohl mit dem Bezirksamt als auch mit den Wasserbetrieben.
Falls Sie noch einmal nachlesen wollen, wie ich im Januar über dieses Thema berichtet habe, hier ist der Link dazu.
Die BVV hatte sich in ihrer Sitzung am 10. März ebenfalls mit dem Thema befasst. Dabei hatte Ulf Wilhelm, SPD, die Vorwürfe an das Bezirksamt, es sei nicht aktiv genug in dieser Sache, wiederholt. Andreas Rietz von den Grünen bekundete hingegen Verständnis für den Bezirk und die Tatsache, dass er nicht in Vorleistung treten wolle. Felix Lederle, Die Linke, vertrat interessanterweise eine ähnliche Meinung wie das Bezirksamt in seiner oben zitierten Stellungnahme:
Die Anwohner müssten ein Unternehmen beauftragen, die Leitungen zu erneuern. Heinz-J. Schmidt von der FDP fand es zwar gut, dass die Wasserbetriebe das zentrale Pumpwerk bauen wollen, vertrat jedoch die Ansicht, die Grundstückseigentümer dürften die Kosten für die neuen Leitungen nicht „kommunalisieren“ – schließlich hätten sie die Grundstücke ja wegen der fehlenden Abwasserregelung günstiger erwerben können.